Artikel: Zur Geschichte der radikal
radikal (radi)
Aktualisierter Textauszug aus: Bernd Drücke, Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse, Verlag Klemm & Oelschläger, Ulm 1998, 640 Seiten, S. 181-190. Siehe: http://www.graswurzel.net/laden/
„Die Gesellschaft ist ein einziger Gefahrenherd.“[1]
Horst Herold, BKA-Chef, 1977.
„Zensurmaßnahmen sollen die öffentliche Meinung vor Äußerungen schützen, welche die bestehende Ordnung gefährden könnten: die Herrschafts-, Autoritäts- und vor allem Eigentumsverhältnisse. Dabei wird die Unmündigkeit und das Schutzbedürfnis bestimmter gesellschaftlicher Gruppen gegenüber solchen Äußerungen unterstellt. Von dieser Vorstellung ausgehend, zielt Zensur auf die Entmündigung der Mehrheit der Bevölkerung. Zensurmaßnahmen sollen die öffentliche Erläuterung von Konflikten einschränken, um Autoritäts- und Loyalitätsverluste einzudämmen und rückgängig zu machen.“[2]
Michael Kienzle/Dirk Mende, 1980.
„Die Zeitschrift radikal ist seit Jahren das beiweitem auflagenstärkste Organ der terroristischen Untergrundpresse.“[3]
Generalbundesanwalt Prof. Dr. Kurt Rebmann, 1989.
Die Geschichte der radikal liest sich wie ein Krimi.
Im Juni 1976 erschien mit dem Untertitel „Sozialistische Zeitung für Westberlin“ und einer Kontaktadresse im Westberliner Sozialistischen Zentrum die erste Ausgabe, durchgängig gesetzt und als journalistische und politische Alternative zur Flugblattsammlung Info-BUG.[4]
Die zunächst zweiwöchentlich publizierte radikal wurde konzipiert als Informationsträger, Diskussionsforum und „praktisches Instrument im Dienst grundsätzlich aller antikapitalistischen Gruppen in West-Berlin.“[5] Als Herausgeber fungierte der Radikal Verlag und ab 1977 die Gruppe A Berlin.
1978 wurden die ersten Verfahren gegen die radikal eingeleitet. Als Aufhänger diente u.a. der Nachdruck des zuvor in Göttingen kriminalisierten „Mescalero-Nachrufs“, in dem „klammheimliche Freude“ über den Tod des am 7. April 1977 von der RAF in Karlsruhe ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback geäußert wurde. Der presserechtlich Verantwortliche der radikal wurde deshalb zu einer Geldstrafe von 875 DM verurteilt.
Ab Nr. 69/1979 übernahm der neu gegründete Verein „Zeitungskooperative e.V.“ die Verantwortung für die zu diesem Zeitpunkt mit einer Auflage von 3.000 Exemplaren publizierte radikal.
1980 wurde die radikal zu einem Diskussionsorgan der HausbesetzerInnenszene Westberlins, die um die Jahreswende 1980/81 mit zeitweilig über 160 instandbesetzten Häusern in Westberlin einen ersten Höhepunkt erreichte und bundesweite Ausstrahlung hatte.[6]
Das Konzept der Zeitschrift war zu diesem Zeitpunkt „offen“; wer wollte, konnte die Redaktion anrufen oder montags und donnerstags in die Berliner Eisenbahnstr. 4 gehen und sich dort an der Erstellung der Publikation beteiligen.
So beschrieb die Redaktion der radikal Nr. 85/1980 ihre Motivation:
„Die 68er Opas haben immer noch nicht begriffen, daß wir nicht für die Öffentlichkeit kämpfen, sondern für uns. Und zwar nicht gegen einen 'Mißstand', sondern für ein selbstbestimmtes Leben in allen Bereichen. Autonomie, aber subito! (…) Wir machen Aktionen nicht für die tierisch-ernste Revolution, sondern weil's Spaß macht.“[7]
Um der drohenden staatlichen Repression entgegenzutreten, traten ab der Nr. 88/1981 Gruppen wie die AKW-Gruppe Wedding, das Forum entwicklungspolitischer Gruppen, der Libertad Verlag, die Initiative gegen den Hochsicherheitstrakt bis hin zur Alternativen Liste Berlin, der taz und vielen anderen als Mitherausgeber in Erscheinung.
Ab der Nr. 90/1981 erschien radikal statt im DIN A4 nun im DIN A3-Format. Innerhalb des Redaktionskollektivs wechselte bei jeder nun monatlich erscheinenden Ausgabe die presserechtliche Verantwortlichkeit. Auch die Untertitel änderten sich in jeder Ausgabe: „Zeitung gegen den freiwilligen Rückzug in die Reservate“ (Nr. 99/Nov./Dez. 1981), „Zeitung für unkontrollierte Bewegungen“ (Nr. 108/Sept. 1982), „Zeitung für den run auf die Bahamas“ (Nr. 121/Okt. 1983) u.v.a.
1982 wurden 14 Privatwohnungen, zwei besetzte Häuser, drei Druckereien, zwei Buchläden und eine Buchvertriebsstelle, ein Verlag und eine Fotosetzerei in Berlin durchsucht, weil die Dokumentation von Texten der Revolutionären Zellen den Straftatbestand des „Werbens für eine terroristische Vereinigung“ (§129a/Abs.3 StGB) erfüllen sollte.
Die radikal hatte sich zum auflagenstärksten Sprachrohr der autonomen Bewegung entwickelt und überregionale Bedeutung erlangt.
„Vor allem in ihrer Koordinationsfunktion für die Bewegung sollte die Zeitung durch massive Einschüchterung zerschlagen werden.“[8]
Nach dem Erscheinen der „Zeitung für Entkrampfung“ (Untertitel der radikal Nr. 117) wurden im Juni 1983 Michael Klöckner und Benny Härlin festgenommen. Obwohl sich auch in der Anklageschrift keine konkreten Hinweise für die Beteiligung des Studenten Klöckner und des Journalisten Härlin an der Herstellung der inkriminierten Ausgabe fanden[9], wurden die beiden Vorstandsmitglieder des „Zeitungskooperative e.V.“ unter Isolationshaftbedingungen im Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit inhaftiert. Die unkommentierte Dokumentation einer Erklärung der Revolutionären Zellen in der radikal, so die Begründung für die Festnahmen, sei eine „Werbung für eine terroristische Vereinigung“ und somit nach § 129a, Abs. 3 StGB strafbar.
„Weil man an die verantwortlichen Redakteure nicht herankam, hielt sich Oberstaatsanwalt Przytarski an die Herausgeberliste von radikal und piekte sich zwei heraus: Micha Klöckner und Benny Härlin…“[10]
Das Verfahren löste eine breite Solidaritätsbewegung aus. In einer u.a. von der Bundestagsfraktion der Grünen, der Kreuzberger SPD und den Schriftstellern Robert Jungk, Peter Schneider, Hans Magnus Enzensberger und Günter Grass unterzeichneten Erklärung, wurde kritisiert, daß fünfzig Jahre nach der nationalsozialistischen Bücherverbrennung in Deutschland wieder eine vermeintliche Gefährdung des Staates wichtiger genommen werde, als die Freiheit des Wortes.
„Wie 1978 im Verfahren gegen die Agit-Drucker - die nach § 129a für das bloße Drucken einer Zeitung verurteilt wurden ! - folgen Anklage und Haftbefehl dem Prinzip: wenn Leute, denen man strafrechtlich relevante Taten nachweisen könnte, nicht zu ermitteln sind, hält man sich einfach an diejenigen, die vor vier Jahren einen eingetragenen Verein gegründet haben.“[11]
Nachdem eine Kaution gezahlt worden war, erhielten Härlin und Klöckner im August 1983 eine an Auflagen gebundene Haftverschonung. Christian Ströbele und Rainer Elferding, die Rechtsanwälte ihres Vertrauens durften sie nicht im Prozeß vertreten. Ihre Beiordnung als Pflichtverteidiger wurde abgelehnt, da Ströbele einschlägig vorbestraft und Elferding in einem Verfahren vor dem Landgericht Berlin einen Polizeibeamten tätlich angegriffen habe.[12]
Vergebens versuchte die „Vereinigung Berliner Strafverteidiger“ gegen die Zuweisung von Pflichtverteidigern, denen die Angeklagten kein Vertrauen entgegenbrachten, zu intervenieren. Sie forderte die freie Wahl der Verteidiger durch die Angeklagten, die Aufhebung der Haftbefehle und die Selbstablehnung des zuständigen Richters Dieter Palhoff.[13]
Im Oktober 1983 wurde das Büro der radikal durchsucht, zwei Leute angetroffen und Material beschlagnahmt.[14]
Der 6. Strafsenat des Berliner Kammergerichts verurteilte die Angeklagten wegen „öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ (§ 111 StGB), „Billigung von Straftaten“ (§ 140 StGB) und „Werbung für eine terroristische Vereinigung“ (§ 129a, Abs. 3 StGB) im März 1984 zu einer Gefängnisstrafe von jeweils zweieinhalb Jahren ohne Bewährung. Der Richter Palhoff hielt es in der mündlichen Urteilsbegründung für entscheidend, daß die Angeklagten „irgendwie an der Verteilung der Zeitschrift radikal mitgewirkt“[15] hätten.
Nach der Urteilsverkündung wurden neben zwei Druckereien auch die Wohnungen der bei der Razzia im Oktober 1983 angetroffenen Menschen durchsucht. Es wurde „sämtliche an die Zeitungskooperative eingehende Post am Postfach beschlagnahmt und jemand beim Versuch, dasselbe zu öffnen, abgegriffen; Begründung: 'Herstellung der radikal'. (…) Der Rest läßt sich am besten mit den Worten des ersten Zuständigen in der Sache erklären: 'Ich habe sie lange genug beobachten lassen, daß sie es merken und vielleicht dadurch davon ablassen.' (Staatsanwalt Przytarski in der taz vom 3.5.).“[16]
Die Grünen engagierten sich für die beiden Verurteilten in der Form, daß diese ins Europa-Parlament gewählt wurden und somit durch die gewonnene diplomatische Immunität ihre Haftstrafen nicht antreten mußten. „Auch die Jusos verteidigten die Pressefreiheit, indem sie die radikal öffentlich verkauften.“[17]
Im März 1984 erschien mit dem Untertitel „Fachblatt für alles, was Terroristen Spaß macht“ die letzte in Berlin herausgegebene Ausgabe: radikal Nr. 126/127.
„(…) Bewegung ade, die Zeitung hat ihren Rhythmus verloren. Die Frequenzen oszilieren zwischen (…) Öffnung und Konspirativität; Lust am Zeitungmachen und Sicherheitsdisziplin; Aufhören, weil das Ding in keinem Verhältnis mehr zur greifbaren Gefahr steht und Weitermachen, weils unerträglich wäre, dem Druck der Repression nachzugeben (…). Aufhören - eine andere Zeitung - eine andere radi (…) Heute sind wir selber als Mythos erstarrt, haben oft versucht, das Vergangene in die Gegenwart zu projezieren, wohl wissend, daß wir nur mit der künstlichen Spritze aus Trotz und Stolz am Leben erhalten werden. Noch zeichnen die Oszillographen einen schwachen Herzimpuls, doch der Staatsanwalt soll uns nicht daran hindern, den Stecker selber rauszuziehen, wenn uns danach ist. (…) Eure Zeitung für Zerstörung und Wiedergeburt. Noch nie war sie so wertvoll wie heute - denn zumindest für eine Weile gehen die Lichter aus. (…) uns gehört die Nacht?“[18]
Ein neues anonymes Redaktionskollektiv brachte im Sommer 1984 mit dem Untertitel „Anleitung für den Herzinfarkt von Staat und Staatsanwalt“, mit einer Auflage von 6.000 Exemplaren und einem Umfang von 52 gedruckten DIN -A3 Seiten in Zürich die radikal Nr. 128 heraus:
„So Leute, habt ihr also gedacht, es wäre zu Ende mit der radikal…Habt ihr sie schon auf der Liste der von 'Verfassungsorganen' totgeprügelten linken Initiativen angekreuzt und archiviert… Wir wollen nicht verhehlen, daß das Frohlocken darüber, der Repression ein Schnippchen geschlagen zu haben einen guten Teil der Motivation bei der Produktion dieser Nummer ausgemacht hat.“[19]
Von nun an war die konspirativ und unregelmäßig herausgebrachte radikal nur noch schriftlich über wechselnde Postfachadressen in Dänemark, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden zu erreichen.
1986 wurden auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft von der in zwei Teilheften herausgebrachten 80 DIN A4-Seiten umfassenden radikal Nr. 132 insgesamt 1713 Exemplare und damit „mehr als die Hälfte der nach polizeilichen Erkenntnissen in den Versand gelangten 3357 Stücke beschlagnahmt.“[20]
Bundesweit wurden mehr als 100 Privatwohnungen, Infoläden, autonome Zentren und Buchhandlungen durchsucht, „um die legale Vertriebsstruktur der radikal zu kriminalisieren.“[21] Gegen 192 Menschen, denen vorgeworfen wurde, die radikal Nr. 132 verkauft zu haben, wurden Ermittlungsverfahren nach § 129a Abs. 3 StGB eingeleitet, 38 Anklagen wurden erhoben, 12 Prozesse fanden statt. Sieben Angeklagte wurden freigesprochen und fünf Menschen wurden schließlich zu Bewährungsstrafen verurteilt. Ein „Mehrfachbezieher“ wurde zu sieben Monaten Haft auf vier Jahre Bewährung verurteilt.
Die Oldenburger Gruppe „Solidarität ist eine Waffe“ analysierte dieses Vorgehen folgendermaßen:
„Mit dieser Maßnahme sollte nach der Illegalisierung der Herstellung auch der Verkauf der Zeitung nicht länger möglich sein. Die meisten Buchläden können/wollen es nicht länger riskieren, die radikal zu verkaufen; wenn sie es dennoch tun, ist dies nur unter dem Ladentisch möglich.“[22]
Praktisch bedeute die Illegalisierung von Herstellung und Verkauf ein tatsächliches Verbot des Periodikums. Das Verbot bedeute darüberhinaus, daß denjenigen, die die Zeitung lesen wollen, der Zugang erheblich erschwert werde.
Der Generalbundesanwalt Rebmann beurteilte 1989 in der Märzausgabe der NStZ (Neue Zeitschrift für Strafrecht) das Vorgehen gegen die radikal.[23] Unter Berücksichtigung der bei exekutiven Maßnahmen gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere auf radikal Nr. 132, schätzten die Sicherheitsbehörden die durchschnittliche Auflagenstärke auf zwischen 4.000 und 5.000 Exemplare. Da die Zeitschrift auch im Fotokopierverfahren von Hand zu Hand weiterverbreitet werde, liege die Zahl der regelmäßigen LeserInnen erheblich darüber. Der LeserInnenkreis umfasse „alle Gruppierungen des linksterroristischen Spektrums“ und reiche „bis in weite Teile des linksextremistischen Spektrums.“
Zwar sei über die veränderten Herstellungsmodalitäten und die gegenwärtige Zusammensetzung des Redaktionskollektivs bislang nichts bekannt, den Verfolgungsbehörden seien aber seit Sommer 1986 wiederholt Einbrüche in das Vertriebssystem gelungen.
„In dem gegen die unbekannten Hersteller und Erstverbreiter von radikal geführten Ermittlungsverrfahren des GBA wegen Unterstützung terroristischer Vereinigungen u.a.. konnte z.B. die Ausgabe radikal Nr. 132 zu einem großen Teil (…) beschlagnahmt werden.“[24]
Auch die seit radikal Nr. 128 erschienenen Ausgaben seien „maßgeblich von dem für die Ideologie und Strategie der 'Revolutionären Zellen' typischen Gedankengut geprägt.“[25]
In der radikal werde „der billigenden und fördernden Darstellung 'militanter' Aktivitäten und Ziele autonomer Gruppierungen“ breiter Raum eingeräumt. Die Verlautbarungen reichten von einer Solidaritätsadresse an die RAF über den Teilabdruck eines Strategiepapiers der Revolutionären Zellen und der Wiedergabe einer Anleitung zum Bau eines elektrischen Zeitzünders durch die Gruppierung Hau weg den Scheiß Sektion West, die sich wiederholt zu Sprengstoffanschlägen bekannt hatte, bis hin zu „verherrlichenden Darstellungen des militanten Widerstandes in Wackersdorf“. In dem Artikel „Pfingsten in Wackersdorf“ sei die Vorbildhaftigkeit der Zerstörung von Polizei- und Baufahrzeugen, der Beschädigung von Strommasten und des Schleuderns von Molotow-Cocktails auf Polizeibeamte suggeriert worden. In einer Vielzahl von Beiträgen würden Straftaten als nachahmenswert dargestellt; so werde z.B. in dem Artikel „Mehr militante Aktionen“ zur Plünderung von Kaufhäusern aufgefordert.[26]
Obwohl nahezu alle Ausgaben der radikal nach ihrem Erscheinen kriminalisiert wurden, erschien sie ab 1986 durchschnittlich dreimal jährlich mit in der Regel zwei Teilheften und einem Umfang von bis zu 120 Seiten. 1989 publizierten die Edition ID-Archiv und die Konkret schriftlich geführte Interviews mit RedakteurInnen der radikal.
Bis Sommer 1995 wurden 150 Ermittlungsverfahren gegen die radikal eingeleitet.[27]
Am 13. Juni 1995 wurden bundesweit mehr als 80 Privatwohnungen, linke und feministische Projekte durchsucht.
Die Razzien wurden mit der angeblichen „Mitgliedschaft und/oder Unterstützung einer kriminellen/terroristischen Vereinigung“ wie AIZ, K.O.M.I.T.E.E. bzw. radikal begründet. Vier angebliche Redakteure der radikal wurden verhaftet.
„Die neue Dimension dieser §129a - Aktion ist, Redaktionsarbeit selbst als Tätigkeit einer sog. 'kriminellen Vereinigung', deren Zweck das Begehen von Straftaten sei, hochzustilisieren.“[28]
Die ermittelnden Behörden hatten im Frühjahr 1993 eine Abhöraktion in einem Ferienhaus in der Eifel gestartet und waren dort im September 1993 auf ein angebliches radikal-Redaktionstreffen gestoßen. Die Teilnahme daran warfen sie den Angeklagten vor.
Im November 1995 tauchte, trotz der Inhaftierung von vier angeblichen Redakteuren (bis Dezember 1995) die auf zwei Hefte verteilte „Ente“ radikal Nr. 153 auf.
Im „Kein Ende mit Ente - Intro“ schrieb die Redaktion:
„Achtung, aufgepaßt, wenn ihr an Weihnachten zu einem knusprigen Entenbraten eure FreundInnen über Telefon einladet, denn die BAW könnte dies evtl. als radi-Redaktionstreffen auslegen. Vertrauen wir auf die heißen Informationen, die der Spiegel seinen Lesern und Leserinnen vor einigen Wochen zum Fraß hingeworfen hat, dann heißt die radi nämlich nicht radi, sondern Ente, zumindest an jenem Herbstwochenende beim 'Big Bang in Wanderath', so übertitelte der Spiegel nämlich seine Story zur plastischen Beschreibung des Lauschangriffs. (…) Wir nehmen den Vorschlag der BAW auf und haben die Ente als unser zukünftiges Maskottchen auserkoren (sonst wären wir ja auch ein schlechter Vereinigung (sic!)) und gleich unsere Titelseite entsprechend gestaltet. Die Einschußlöcher oberhalb der Ente symbolisieren die BAW-Schüsse von 1986 und jetzt vom 13.6.95 - hättet ihr das erraten?“[29]
Nachtrag und Resümee
31 Jahre radikal
Die radikal war in den 1980er und 90er Jahren ein wichtiges überregionales Sprachrohr der HausbesetzerInnen- und anderer sozialer Bewegungen, und zugleich die am heftigsten kriminalisierte Zeitschrift in Westeuropa.
Es gab unzählige Razzien, Ermittlungsverfahren und Prozesse, vermeintliche radikal-Redakteure wurden in Isolationshaft gesperrt, und 1995 versuchte der Staat sogar das in den Untergrund gedrängte Diskussionsorgan der autonomen Szene mit Hilfe des Paragraphen 129 StGB zur „kriminellen Vereinigung“ zu erklären. Seitdem ist es relativ still geworden. In den letzten zwölf Jahren erschienen nur sieben Ausgaben. Und der „Gebrauchswert“ für AktivistInnen wurde auch durch den Nachdruck längst z.B. bei indymedia oder in der Berliner Flugblattsammlung Interim veröffentlichter Texte nicht gerade gesteigert.
„Dass es die radikal trotz Repression aber noch gibt, ist schon ein Erfolg, ein kleiner Sieg über den autoritären Staat“ [30], so die Graswurzelrevolution-Redaktion im Januar 2007. Und so wird in der im Dezember 2006 erschienenen radikal Nr. 160 - „Zeitung für den brodelnden Untergrund“ - auch ausgiebig am widerständigen „Mythos radikal“ gestrickt. In der 80seitigen Ausgabe (Preis: 4 Euro) finden sich u.a. erweiterte und aktualisierte Nachdrucke aus dem Buch „20 Jahre radikal“, Beiträge zur Mobilisierung gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm, ein Aufruf zur Sabotage, Artikel über Repression in Griechenland und Deutschland.
Bernd Drücke (aktualisiert im Mai 2007)
Anmerkungen:
Postadresse: N.N., Van Ostadestraat 233N, NL-1073 TN Amsterdam. Innerer Umschlag: Z.K.
Buch:
* 20 Jahre radikal, Assoziation A, Unrastverlag u.a., Hamburg, Berlin, Münster 1997
[1] Horst Herold, in: Himmel & Erde Linksradikale Revue Nr. 1, Verlag Roter Funke, Bremen, Sept. 1980, S. 7.
[2] Michael Kienzle/Dirk Mende: Zensur in der BRD. Fakten und Analysen, München 1980, S. 33.
[3] Generalbundesanwalt Prof. Dr. Kurt Rebmann, Karlsruhe, in: radikal Nr. 137, Amsterdam, Mai 1989, S. 3.
[4] Zur Entstehungsgeschichte der radikal bis 1985 siehe: Holger Jenrich, Anarchistische Presse in Deutschland 1945-1985, Trotzdem, Grafenau, S. 157 f.
[5] radikal, 1. Jhg., Nr. 1, West-Berlin 1976, S. 2.
[6] Siehe IX.1
[7] radikal Nr. 85/1980, a.a.O.
[8] radikal - Chronologie einer Repressionsgeschichte, in: Interim Nr. 339, Berlin, 6. Juli 1995, S. 7.
[9] Konkret (Neue Folge), Hamburg, 10. Jhg., Nr. 7/1983, S. 46.
[10] Annette Wilmes: "Knallharte Justiz - Prozeß gegen Härlin und Klöckner wird verschleppt", in: Blickpunkt, 32. Jhg., 316/1983, S. 46.
[11] Presseerklärung zum Fall Härlin/Klöckner, in: Blickpunkt, 32. Jhg., Nr. 314/315/1983, S. 4.
[12] Annette Wilmes, a.a.O.
[13] Ebd.
[14] Vgl. "Frohe Botschaft - Der Kampf geht weiter", in: radikal Nr. 128, Zürich, Sommer 1984, S. 2.
[15] Annette Wilmes: "Harte Urteile - Moabiter Richter verbiegen Grundrechte", in: Blickpunkt, 33. Jhg., Nr. 324/1984, S. 33.
[16] "Frohe Botschaft - der Kampf geht weiter", a.a.O.
[17] Gruppe "Solidarität ist eine Waffe": "So radikal wie die Wirklichkeit II : Zu den Durchsuschungen und Festnahmen am 13. Juni", in: alhambra Zeitung und Programm Juli 1995, Oldenburg, S. 3 ff.
[18] Am Anfang steht das Ende sonst wäre das Neue das Alte, in: radikal Nr. 126/127, Berlin, März/April 1984, S. 3 - 4.
[19] "Frohe Botschaft - der Kampf geht weiter", a.a.O.
[20] Generalbundesanwalt Prof. Dr. Kurt Rebmann, a.a.O.
[21] Für eine vielfältige Widerstandpresse, in: Interim Nr. 345, Berlin, 28. 9. 1995, S. 23.
[22] Gruppe "Solidarität ist eine Waffe": "So radikal wie die Wirklichkeit : Zu den Durchsuchungen und Festnahmen am 13. Juni", a.a.O., S. 5.
[23] Vgl. Generalbundesanwalt Prof. Dr. Kurt Rebmann, Karlsruhe, a.a.O.
[24] Generalbundesanwalt Prof. Dr. Kurt Rebmann, ebd.
[25] Ebd.
[26] Vgl. ebd..
[27] Vgl. Jürgen Gottschlich: Happy Birthday, Haftbefehl!, in: taz, Berlin, 14./15. Okt. 1995, S. 17.
[28] Für eine vielfältige Widerstandspresse, in: A-Kurier Nr. 80, Berlin, Okt. 1995, S. 1.
[29] Kein Ende mit Ente - Intro, in: radikal Nr. 153, Amsterdam, Nov. 1995, S. 3.
[30] Vgl. 30 Jahre radikal, in: Graswurzelrevolution Nr. 315, Januar 2007, S. 5