unfassba nr. 9, s. 22f. [A3]

Artikel zur Geschichte der "unfassba"

XVI.9 Unfassba (Unfi)

Textauszug aus: Bernd Drücke, Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse, Verlag Klemm & Oelschläger, Ulm 1998, 640 Seiten, S. 359 ff., Siehe: http://www.graswurzel.net/laden/

 

„Für viele war die Unfi nur eine von zig Infoblättern. Für uns und einige an­dere be­deutete sie einen Freiraum zu haben, in dem du ohne Blatt vorm Mund und ohne Schere im Kopf Sachen veröffentlichen kannst, die oft Spaß machen aber eben auch nicht selten verboten werden. Seien es nun Anleitungen zur Herstellung von Butter­säure, polizeifeindliche Collagen, bitterböse Real-Satiren, verbotene Widerstandsco­mix wie ‘Asterix und das Atomkraftwerk’, Volxsporterklärungen, HeRZschläge, Klau-Tips, Fakes oder einfach nur wü­tende staatsfeindliche Polemiken.“[1]

 

Als Nachfolgeblatt der im Juni 1989 in Unna herausgekommenen HausbesetzerInnenzeitschrift Unslhausn er­schien im Frühjahr 1990 die Un­fassba Nr. 1.[2] Die anonyme, über Postfächer im Münsteraner Um­weltzentrum (UWZ) und einer Antifa-Gruppe im Unnaer Ju­gendzentrum (JZ) zu errei­chende Redaktion dieser chaotisch und verbalradikal wirken­den Ausgabe kündig­te an, daß sie für die nächste Nummer leerstehende Häuser in Unna fotografieren und „die namen der be­sit­zer/innen, die fotos und den grund des leerstands veröffent­li­chen“[3] wolle. Dieses Versprechen wurde nicht eingelöst und der Charakter als Unnaer Lokalinfo ging in der zweiten Ausgabe weitgehend verloren; ob­wohl der Untertitel „unna - n - genehmes blatt“ ein letztes Mal bei­be­halten worden war, hatten nur noch fünf der 36 DIN A4 Seiten lokalen Bezug. Als weitere „Kontaktadresse für Handver­käuferIn­nen“ er­schien das Gel­senkirchener „Pankhaus Münchner Straße“. Inhaltlich beschäftigte sich Nr. 2 u.a. mit Über­griffen von Beamten gegen Menschen aus der PunkerInnen-, Hippie- und Auto­nomenszene in Un­na, Dortmund und Gel­senkirchen, mit theo­retischen Texten zum Anarchismus, Be­richten aus der Anti-AKW-Bewegung, Aktionskunst in Ostberlin, einem „Demobericht Bank­furter Mai“, Anti­faberichten aus Dort­mund, Mün­ster, Potsdam und „Ost-Bul­lin“, „Zensur in der Bundes­re­publik“, Hausbesetzun­gen in London und Marburg, den „Antikapitalistischen Akti­onstagen in Hamburg“, einem Arti­kel „Bär bleibt hier. Keine Ausweisung von Ralf Reinders. Gefangener aus der Bewe­gung 2. Juni“ und einer „Erklärung von Isabel Jacob“. Die Rubrik „Schwarzes Brett“, in der Selbst­dar­stellun­gen, Ge­dichte, kurze Artikel und Kleinanzeigen dokumentiert wur­den, war von nun an Bestandteil des Periodikums.

 „Unfassba ist eine kleine überregionale Zeitung, die unre­gelmäßig er­scheint und ver­sucht ein Stück Gegenöffent­lichkeit von unten zu schaf­fen und anar­chistisch libertäre Ideen zu verbreiten. Wir wollen zur Ver­netzung der ver­schiedenen Bewe­gungen und zum gemeinsa­men Kampf gegen jede Form von Unterdrückung, Umweltverseu­chung und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beitra­gen. Wir träumen von ei­ner herrschafts- und gewaltfreien Gesell­schaft ohne Bosse und Staat und wir sind aktiv in Anti-AKW-, Häuser­kampf-, Antifa- und an­deren außerparla­mentarischen Bewe­gungen.“[4]

Die dritte Nr. beschäf­tigte sich schwer­punktmäßig mit den rechtsextremen Aus­schreitungen nach dem Gewinn der Fußball­weltmeisterschaft durch die deutsche Nationalmannschaft 1990 und auch das wiederum selbstge­machte, schwarz-rote Li­nolschnitt-Cover der Nr. 4 spielt auf die Geschehnisse an (siehe Abb. 70).

Während die Druck­auflage peu á peu von 650 auf 1.200 Stück[5] stieg, ent­wic­kelte sich das akti­onsorientierte Lo­kalblatt zum Regio­nalinfo und schließlich zu einem

„(…) überregio­nalen Sprachrohr anar­chistischer und autonomer Grup­pen mit einem manchmal abgedreh­ten Layout.“[6]

Dadaistisch inspirierte, selbstgezeichnete Cover und Cartoons, sowie Artikel aus den Teilbereichsbewegungen prägten ihren Stil. Neben aktuellen Artikeln und „Volxsport“-Erklä­rungen, wurden Texte von Em­ma Goldman, Michail Ba­kunin, Er­rico Malate­sta, Pierre Jo­seph Proudhon, Erich Mühsam u.a. bekannten AnarchistInnen abgedruckt.

Studierende, die im Sommer 1991 ein schriftliches Interview mit der seit De­zember 1990 (Nr. 5) nur noch über das Münsteraner Post­fach zu errei­chen­den Redaktion geführt hatten, analysierten in einer Semi­narar­beit die Ausgaben Nr. 5, 6 und 7/8. Mit dem künstlerisch gestalteten Titelbild der Unfassba Nr. 7/8 wür­den Aspekte des Golfkrieges, wie z.B. Flücht­lingselend, erfaßt, das ameri­kanische Vorgehen kritisiert. So finde z.B. eine „satirische Um­setzung ins Zeich­nerische statt, wenn aus Panzer- und Bomben­rauch das Wort 'Frieden' em­por­steigt.“[7] Auffällig sei die „politisch-zweideutige“ Gestaltung des Titels, wel­cher bunt und graffitiähnlich wirke. „Ferner ist das N (…) Sym­bol der Haus­besetzerszene, das (…) A am Ende des Wortes steht ein­deutig für Anar­chie.“[8] Das Wortgebilde „Unfassba“ erwecke die As­soziation „nicht zu fas­sen sein“, bezüglich der „Angst vor Er­fas­sung und Krimi­nali­sierung durch den Staat“ und andererseits „im Sinne von Bürger­schreck und Non-Konformis­mus unfassbar sein.“ Der „Verzicht auf den letzten Buchstaben - das 'r' - gibt uns einen Wink auf die un­konventionelle und lässige Umgangssprache“, die in der Zeitschrift be­nutzt werde. Dieser „Slang“ spiegele die Einstellung der Re­daktion zu „sogenannten Regeln und Normen“ wider, die es hier zu durchbrechen gelte. Da die Zeitschrift den An­spruch habe, für ihre LeserInnen Forum zu sein, werde in ihr eine „le­bensnahe Spra­che" benutzt. Die Spalten seien u.a. durch Co­micbil­der abge­setzt, die das jewei­lige Thema kommentierten, zur Veranschauli­chung und zur Unterstreichung von satirischen Gegen­darstel­lun­gen dien­ten.[9] Das aus häufig wechselnden MitarbeiterIn­nen beste­hende Re­dakti­onskollektiv, das die Beiträge ge­meinsam auswähle und disku­tiere, habe den Anspruch, alle Mit­glieder gleich­berechtigt zu beteiligen, „obwohl es unter­schiedliche Arbeits­schwer­punkte gibt (Internationalismus, Lay-Out, Frauen, etc).“[10]

Breiten Raum nahmen ab Nr. 4 (Sept. 1990) Beiträ­ge von inhaftierten LeserIn­nen ein. Auf Anregung der Unfassba-Redaktion bildete sich 1991 eine „Projektgruppe Knastausstellung“, die LeserInnenbriefe, Texte, Gedichte, Do­kumente und Zeichnungen von Gefangenen in Münsteraner Kneipen unter dem Motto „Power durch die Mauer bis sie bricht“ ausstellte.

In der 60seitigen Nr. 7/8 (Sommer 1991) dokumentierte die Unfassba eine Hun­gerstreikerklärung von Achim Fried­mann, dem Sprecher der Gefan­genenhilfsor­ganisation „Solidarität e.V.“. Der in der JVA Amberg in­haftierte Frie­dmann be­gründete sei­nen unbe­fristeten Protesthun­gerstreik u.a. mit der „Nichtaushändigung von Infos über den Knast, oder von Zeitungen, z.B. Un­fassba, Durchblick usw.“[11] Dieser Hungerstreik habe eine längere Vorge­schichte, so das Unfassba-Kollektiv,

„hierzu ist sowohl Achims Funktion als Pressesprecher der SOLIDARITÄT e.V. wichtig, als auch der fortgesetzte Zensurterror des Amberger Knastchefs. (...) Von fünf Abonnenten in Amberg kriegt keiner die Zeitung ausgehändigt, speziell unser Briefwechsel mit Achim wird fortgesetzt sabotiert. (...) Die Amberger Knastleitung reagiert auf jeden Versuch von Gefangenen, selbstor­ganisiert Interessenvertretungen zu bilden, mit hysterischer Repression. (...) So wird auch Achims politische Arbeit verhindert, indem unliebsame Post mit fa­denscheinigen Begründungen nicht ausge­händigt wird, das gleiche gilt für Zeitungen, deren furchtbar umstürzlerischer Inhalt (...) Achims Vollzugsziel (Anpassung, ‘Resozialisierung’, Aufgeben von Widerstand) gefährden könnte. Was sind wir auch für Schweine Achims Vollzugsziel zu gefähr­den.“[12]

Die Unfassba analysierte das Verhältnis der libertären Szene zu den sogenann­ten „sozialen Gefangenen“:

„Wenn wir ehrlich sind, müssen wir eingestehen, daß Knast auch in unseren Zusam­menhängen nur dann Thema ist, wenn politische Gefangene sich gegen den Knastter­ror wehren. Die vielen ‘sozialen’ Gefangenen, die ebenso der Folter durch Isolations­haft, den Schikanen durch ‘Hausstrafen’ und ‘Disziplinierungsmaßnahmen’, der Will­kür der reaktionären Knastbosse und außerdem der Zwangsarbeit zu Hungerlöhnen unterworfen sind, werden mei­stens vergessen. Wir sollten nicht vergessen, daß Re­pression nicht nur den ra­dikalen Widerstand trifft. (...) Knäste gehören abge­schafft.“[13]

Die Forderung nach „freier Kommunikation zwischen drinnen und draußen und unter den Gefangenen“ sei keine reformistische Forderung, die den Knast nur verschönern bzw. erträglicher machen solle, sondern ihre Verwirklichung stelle

„die Grundlage für gemeinsame Kämpfe, gemeinsamen Widerstand gegen das men­schenverachtende Knastsystem dar, das keine Randerscheinung dieser Ge­sellschafts­ordnung ist, sondern ihre deutlichste Ausformung.“[14]

Nach Angaben der Redaktion wurden ca. 200 für Gefangene be­stimmte Freiex­emplare beschlagnahmt bzw. „zur Habe“ genom­men.[15] Das Kol­lektiv wählte eine ungewöhnliche Form, um gegen diese re­pressiven Maßnahmen zu prote­stieren. In  Kleinanzeigen wurde „aus einer klassischen Anhalteverfü­gung“ zi­tiert:

„Andere über uns: 'Der Inhalt des Druckwerks Unfassba gefährdet das Ziel des Voll­zugs und die Sicherheit und Ordnung der Anstalt erheblich. Die gesamte Ausgabe ist von einer agitatorischen, auf Aufwiegelung der Gefangenen ge­richteten Grundten­denz… Anar­chie wird verherrlicht, zum Widerstand wird aufgerufen.'(…)“[16]

Bald darauf gingen Repressionsorgane gegen das Projekt vor. Während das seit November 1991 bestehende zweite Redaktionspostfach in den Räumen des Bo­chumer Initiativkreis für Gefan­genenarbeit (IGA) un­beanstandet blieb, wurden am 7. Januar 1992 in Münster das UWZ und die UWZ-Druckerei durch­sucht. Sieben Stunden lang suchten 80 PolizistInnen, BKA- und LKA-Be­amte nach Hinweisen auf „Verfasser, Herausge­ber, Her­steller und Verbreiter der Druck­schrift unfassba Nr.7/8“.[17] Mut­maßliche Sympa­thisantInnen seien im Umkreis von 50 Metern kon­trolliert, ein „besorgter Bürger“ kurz­fristig festge­nommen, das Ar­chiv, der Verkaufsraum, Postfä­cher, Ord­ner usw. „beschnüffelt“ und ab­fotogra­phiert worden.[18] In der Münsteraner Presse begründete das BKA die Razzia damit, daß es sich bei dem „periodisch erscheinen­den Druck­werk Un­fassba (in dieser Schreibweise)“ um eine „ohne Im­pressum veröffentlichte Pu­blikation“[19] handelt, die verdäch­tigt werde, die RAF sowie „eine weitere terro­ristische Ver­einigung“[20] zu unterstützen. Mit dem in der Nr. 7/8 do­ku­mentier­ten Artikel „Schluß mit der Zwangspsychatrisierung von Sven!“ ha­be die Re­daktion für die RAF geworben. Beschlagnahmt wurden u.a. „21 Aludruck­platten Un­fassba Nr. 10“, Exemplare der Nr. 7/8 und Nr. 10, Kopien der bereits er­wähnten wissenschaftli­chen Arbeit, ein ver­meintliches Kinderbuch „Die Rote Zora“[21] und ein Ex­emplar der radikal Nr. 144 (Teil 2). Da es in den letzten Wo­chen Durchsuchun­gen im Infoladen M 99 Berlin, Schwarzmarkt Hamburg, Infoladen Karls­ruhe, Infoladen Passau, dem Akti­onszen­trum Alhambra in Ol­den­burg, dem AJZ in Bielefeld und dem Buch­laden Le Sabot in Bonn gegeben hatte, sah die Ladengruppe die Razzien im Zusammenhang mit den „bundesweiten Aktionswochen des BKA gegen kritische Zeitungen und Infolä­den“. Größtenteils seien „unbequeme Infos, Bücher (Rote Zora) und Zei­tungen wie radikal, agitare bene, Pro­zeßinfo oder (…) Un­fassba Nr. 7/8“ als Be­grün­dung für die Razzien her­angezogen wor­den. „Einschüchterung und Ruf­mord in der Öffentlichkeit“ seien Ziele der Aktion in Münster.

„Dabei wissen sie selber, daß wir nicht, wie von ihnen behauptet, 'Organisati­onszu­sammenhänge für die RAF' schaffen.“[22]

Die Redaktion reagierte auf die Kriminalisierung zunächst mit dem für das „witzig zusammengestellte, munter experimentie­rende und erfrischend freche Militanzblatt aus der A-Szene“[23] typischen „schwarz-roten“ Gal­gen­humor. In einem mit „Unfassba - wir über uns“ betitelten Flug­blatt äußerte sie sich ableh­nend zur „RAF“: 

„Zum Schluß wollen wir uns hier noch von der 'RAF' distanzieren. Die 'RAF' ist eine terroristische Vereinigung im Wortsinn des § 129a, deren Ziele darauf ge­richtet sind, Mord, Totschlag und Völ­kermord, Verbrechen gegen die persönli­che Freiheit, Brand­stiftung, Herbeiführung von Kern- und Sprengstoffexplosio­nen, gefährliche Ein­griffe in den Straßen-, Schienen- und Luftverkehr zu bege­hen. Fast alle diese Verbrechen haben die Massenmörder der Royal Air Force zuletzt vor einem Jahr während des Golfkriegs verübt.

Außerdem distanzieren wir uns auch noch von anderen terroristi­schen Vereini­gungen: allen Staaten, der Bundeswehr, SEK, MEK, USK, GSG 9,… Wir wol­len eine gewalt­freie Gesellschaft. Nicht Chaos, sondern Ordnung ohne HERR­schaft ist unser Ziel: ANAR­CHIE!

Das intergalaktische Unfassba-Kollektiv (kreist im UNFO um den Orbit).“[24]

Während ein breites Bündnis von 90 Grup­pen[25], von der Ka­tho­lischen Studie­ren­den Gemeinde Mün­ster bis zum Initiativ­kreis Hafenstraße Hamburg, gegen die Durchsuchungen pro­testier­te, wurden wei­tere Aus­gaben inkri­miniert: Im Fe­bruar 1992 wurde ein Er­mitt­lungsverfahren nach § 111 StGB ein­geleitet, da mit der im Septem­ber 1991 er­schienenen Unfassba Nr. 9 „öffentlich zu Straftaten auf­gefor­dert“ worden sei.[26] Am 9. März 1992 durchsuchten Polizei­be­amte in Bremen den Anti­fa-Infoladen, den Infoladen der Bremer BürgerInnen ge­gen Atom­an­lagen (BBA), sowie zwei Privatwoh­nungen. Be­schlagnahmt wur­den u.a. fünf Exemplare der radikal Nr. 145, Teil 1, neun Ex­em­plare der Un­fassba Nr. 10 und acht Exem­plare der Unfassba Nr. 11 (März/April 1992).[27] Nach der Kriminalisierung der Nr. 7/8, 9, 10 und 11 mit Hilfe der §§ 111, 129a und 130a StGB[28] löste die Redaktion ihre Postfächer in Bochum und Münster auf. Die 64seitige Nr. 12/13 er­schien als „Zeitung für leere Versprechungen“ (Untertitel) im Juni 1992 in Kopenha­gen. Postfachadressen in der Bun­desrepu­blik „lassen sich vom Staats­schutz einfach angreifen und krimi­nalisie­ren“, so die „Unviehcher“.[29] In Dänemark sei das an­ders. Dort gebe es keinen § 129a oder „ähnliche Schnüffelparagra­phen“.[30]

Eine Redakteurin kriti­sierte u.a. den Umgang der Redakti­ons­grup­pen mit der Kriminali­sierung:

 „sicher haben auch wir nicht ganz rich­tig reagiert, wie z.b. bei 'wir über uns'. was mich an dem papier stört, ist die ständige selbstdar­stellung, (…) der text war mehr für uns, so nach dem motto 'wie mach ich mir am besten mut' oder 'wenn die nacht am tiefsten ist,…' und spiele meine angst runter. er ist zu cool, nix über gefühle, es macht vielleicht sogar den anschein, als ginge uns das alles meilen­weit am arsch vor­bei. dem war aller­dings ganz und gar nicht so!“[31]

Nachdem das Postfach im Kopenhagener In­foladen Zapata aus poli­tischen Gründen aufgegeben worden war[32], erschien Ende Novem­ber 1992 im nieder­ländischen Utrecht die (mit Beilage) 72 Seiten umfas­sende Unfassba Nr. 14/15 u.a. mit den Schwerpunkten Antifa und „Sexismus und Hierarchien in autono­men Strukturen“. Hier ging es u.a. um die Aussperrung (durch Schlösseraus­tausch und Androhen von Prügel) von Menschen aus der UWZ-Ladengruppe und weiteren UWZ-MitarbeiterIn­nen, die die Forderung der Frauen/Lesbenarchivgruppe nach einem „autonomen Frauen- und Lesbentag und dem Abbau von hierarchischen Strukturen im UWZ“ unterstützt hatten. Die Re­daktion druckte Papiere der beteiligten Frak­tionen ab[33], solidarisierte sich mit den Ausgesperrten[34] und unterstützte einen Aufruf des linksradikalen Städte­treffens gegen den Weltwirtschaftsgipfel:

„Wir sind nicht bereit, Menschen, die die Forderung nach einem Frauen/Lesbentag nicht mit einer gleichberechtigten Diskussion begegnen und sich stattdessen mit dem Ausspielen von Machtstrukturen (sexistisches Verhal­ten und das Innehaben von Funk­tionen im UWZ) einer inhaltlichen Auseinan­dersetzung entziehen, weiter zu unterstüt­zen. Wir solidarisieren uns mit den Rausgeschmissenen, die bis zum April 1992 ihre Arbeit im UWZ eingebracht haben und unterstützen die Forderung der Frauen/Lesben nach sofortiger Rück­gabe des Frau­en/Lesbenarchivs.“[35]

Im April 1995 brachte ein neues Kol­lektiv 1.500 Exemplare[36] der 80seitigen Un­fassba Nr. 16/17 unter der beibehaltenen niederländischen Postfachadresse her­aus. Ein ehemaliger Redakteur begründete dort das lange Schweigen, ohne auf die Umstände genauer einzu­gehen. Nach Erscheinen der Nr. 14/15 sei es 1993 „aus verschiede­nen Gründen“ zum Ausstieg der meisten RedakteurInnen ge­kom­men. Die Übriggebliebenen hätten nur noch sporadisch die Post be­arbei­tet und versucht, neue Leute zu gewinnen, die das Pro­jekt „samt In­frastruktur, Abos, noch vorhan­denem Geld us­w.“ über­neh­men könnten. Durch die Repres­sionsmaßnahmen sei die Redaktion so ein­geschüchtert gewesen, daß sie „beinahe das Handtuch geworfen“ hätte. Die in der Vergangenheit gefällten Urteile gegen angebliche Redakteure z.B. der radikal und der Sabot wür­den zeigen, daß das „Grundrecht auf freie Mei­nungsäußerung nur Makulatur ist“.[37]

„Linksradikale Magazine, die sich rausnehmen, unzensiert und laut zu sagen, was ist, werden m.E. zukünftig kaum noch ohne Aus­landsadresse auskom­men.“[38]

Aufgrund ihres „100%ig legalen Konzeptes“ seien die Ma­cherInnen anarchisti­scher Zeitschriften wie SF, da oder GWR, gezwungen, manchmal mit der „Schere im Kopf“ zu arbeiten. Die Unfassba könne sich „sozusagen bei den Schergen für die Kriminalisierung bedanken“, denn die Repression habe sie ge­zwun­gen, eine „verdecktere Struktur“ aufzubauen, die der seit einem Jahr be­stehenden neuen Redak­tion einen „relativen Schutz vor Faschos, Staatsschutz und Hetz­presse“ bieten könne.[39]

Das neue Kollektiv übernahm den Titel, änderte aber die Kon­zeption. Texte zu „Moderne und Ambivalenz - Libertäre Aspekte in Zygmunt Bau­mans Soziologie der Postmoderne“ und „Die Ideologie des Krieges. Nation, Staat und De­mokra­tie am Beispiel Jugoslawiens“ verdeutlichten, daß die „auf ein Mindest­maß an Aktiven zusammenge­schrumpfte“[40] Gruppe andere Schwer­punkte set­zen wollte, als die Vor­gängerInnen. Die „militante Anarchozeitschrift im Unter­grund“[41] hatte sich in ein anarchisti­sches Theoriemagazin verwandelt. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch eine „spärliche“ Gestal­tung der inhaltlichen Beiträge. Im Ge­gensatz zu frühe­ren Ausgaben, wurde weitgehend auf Cartoons, Collagen, satirische Mittel und kämpferisches Voka­bular verzichtet. Im Apo­plex wurde der „Ex-Spaß-Bote in der auto­nom/anarchistischen Presse­land­schaft“, der „immer für Über­ra­schungen gut“ sei, nun als „konzeptloser Mix von amüsanten bis gefährlichsten Bewegungsthemen“[42] charakterisiert und AutorInnen des Buches „20 Jahre radikal“ konstatierten, daß die im Frühjahr 1996 herausgebrachte Unfassba Nr. 18 „vom Layout und Stil weni­ger an den 'Zentralorkan der Spaßgerrillja', als an den SF der frühen 80er Jahre“[43] erin­nere.

Aufgrund der mangelhaften Zahlungsmoral der AbonnentInnen befand sich das Projekt in einer permanenten finanziellen Krise. Trotzdem er­schien im Sommer 1996 Unfassba Nr. 19, die vermutlich letzte Ausgabe. Nachdem die letzte „Unfi“ (Untertitel) mit Artikeln zum Krieg in Jugo­slawien und dem Völkermord an den ArmenierInnen „ziemlich finster aufge­hört“ ha­be, habe sich das Kollek­tiv diesmal be­müht, optimisti­scher „zu werkeln“[44].

„Als AnarchistIn hat mensch selten Grund, sich über das Weltge­schehen zu freuen, aber die rot-schwarzen Fahnen der EZLN waren für uns ein Grund dazu. Ebenso der Wider­stand gegen den Castor, die ruinierte Gelöbnis-Zeremonie in Berlin, ein Haufen schöner Briefe und (herrlich!) neue Abos! Eine Menge Car­toons und ein bunteres Layout sind auch dazu gekommen.“[45]  

Am 14. August 1996 durchsuchten LKA-Beamte in München den Info­laden, einen Stadtteilladen und eine Privat­wohnung. Hintergrund war ein Verfahren gegen den Anmelder eines In­fostan­des, auf dem die Polizei ein Exemplar der Un­fassba Nr. 18 beschlagnahmt hatte. Mit „Beihilfe zur Wer­bung für eine ter­roristi­sche Vereinigung“ sei die Razzia begründet worden. Dem Beschul­digten werde vorgewor­fen, er hätte gewußt, daß in der Unfassba Nr. 18 eine Anzeige für die radikal Nr. 153 abgedruckt worden und de­ren Verbreitung we­gen zwei Texten illegal sei[46], so die Infogruppe München. Sie bewertete das Verfahren und die Durchsu­chung als „reine Schi­kane und eine Machtdemonstration der Polizei.“

„Wir protestieren gegen die Durchsuchung des Infoladens, des Stadtteil­ladens Haidhausen und gegen die Kriminalisierung der Zeit­schriften Radikal und Un­fassba.“[47]

 

 


[1] Ali En: Unfassba - Terroristische Vereinigung e.V.? Rückblick auf fünf unfassbare Jahre aus der Sicht eines Ex-Aliens, in: Unfassba Nr. 16/17, Utrecht, April 1995, S. 5-11, hier S. 5 f.

 

[2] Vgl. Subversives Blätterrauschen. Stand und Zustand autonomer Medien, a.a.O., S. 191-192.

 

[3] Vorwort & Impressum, in: Unfassba Nr. 1, Unna, März 1990, S. 2.

 

[4] Unfassba, in: Antifaschistischer Kalender 1991, Mün­ster, 1990, ohne Paginierung.

 

[5] Vgl. VERZEICHNIS DER alternativMEDIEN Ausgabe 1991/92, a.a.O., S. 140 und Un­fassba Nr. 16/17, Utrecht, April 1995, S. 2.

 

[6] Subversives Blätterrauschen, a.a.O.

 

[7] Guido von Fürstenberg, Kirsten Hahn, Matthias Kopp: unveröffentlichte Se­minararbeit (40 S.) zum Thema "Blätterwald": Die "Unfassba", Seminar "Technik und Gesellschaft" (bei Professor Tschiedel) am Institut für Soziologie der WWU Münster, Sommersemester 1991, S. 5/6.

 

[8] Ebd.

 

[9] Ebd, S. 7.

 

[10] Ebd, S. 9.

 

[11] Aufruf von Achim Friedmann (Amberg) (seit 20.4. im Hungerstreik), in: Un­fassba Nr. 7/8, Mün­ster, Juni 1991, S. 47.

 

[12] Unfassba Nr. 7/8, a.a.O., S. 46 f.

 

[13] Ebd.

 

[14] Ebd.

 

[15] Vgl. Ali En: Unfassba - Terroristische Vereinigung e.V.?, a.a.O., S. 7.

 

[16] Unfassba, in: Land unter Nr. 5, a.a.O., S. 63.

 

[17] Ermittlungen gegen Umweltzentrum, in: MZ, 8. Jan. 1992, S. 1.

 

[18] Vgl. Pressererklärung der Ladengruppe des Umweltzentrums Münster zur Hausdurchsuchung am 7.1.92, in: Unfassba Nr. 11, Münster, Bochum, März 1992, S. 22.

 

[19] Wegen Verdachts der Unterstützung der Roten Armee Fraktion (RAF) Poli­zei durchsucht Um­weltzentrum, in: WN, Münster, 8.1.1992, S. 1

 

[20] "Hinweise erhalten", in: MZ, Münster, 9. Jan. 1992, S. 1.

 

[21] 1989 brachte der Frankfurter Verlag Sauerländer AG die 28. Auflage (249. bis 264. Tausend) eines Buches über ein bekanntes rothaariges Mädchen und ihre Bande heraus. 1991 und 1992 durch­suchten BKA und Polizei zahlreiche linke Buch- und Infoläden, in denen sie glaubten, das Kinderbuch zu finden. Da, wo es erhältlich war, beschlagnahmten sie es und leiteten §129a-StGB Verfahren gegen die LadenbetreiberInnen ein. Es stellte sich heraus, daß unter dem Im­pressum und Cover des Kinder­buchs Rote Zora Theorie- und Praxistexte, Er­klärungen und Anleitungen der gleichnamigen und aus dem Untergrund agie­renden Frauengruppe veröffentlicht wurden.

 

[22] Ebd.

 

[23] Ralf G. Landmesser: Wegweiser durch den anarchistischen Blätterwald, in: Anarchistischer Ta­schenkalender 1996, Berlin 1995, o.S.

 

[24] Unfassba - wir über uns, in: Unfassba Nr. 11, a.a.O., S. 3.

 

[25] Vgl. Unfassba Nr. 12/13, Kopenhagen, Sommer 1992, S. 2.

 

[26] Vgl. Unfassba Nr. 11, a.a.O., S. 2. Im Okt. 1991 wurde das § 111 StGB Ermittlungsverfahren eingestellt.

 

[27] Vgl. Presseerklärung von BBA- und Antifa-Infoladen: Durchsu­chungs­welle kam in Bremen an, in: Unfassba Nr. 12/13, a.a.O., S. 39.

 

[28] Vgl. Subversives Blätterrauschen, a.a.O.

 

[29] Vgl. Eure außerirdischen Unviecher: Hallohoi, in: Unfassba Nr. 12/13, a.a.O., S. 2.

 

[30]Ebd.

 

[31] Nina: HAI, in: Unfassba Nr. 12/13, Kopenhagen, Sommer 1992, S. 4

 

[32] Vgl. Unfassba zum Zapata-Konflikt, vierseitige Beilage in Unfassba Nr. 14/15, Utrecht, Nov. 1992

 

[33] Vgl. Unfassba Nr. 14/15, ebd., S. 48 - 57

 

[34]  Die Ausgesperrten gründeten daraufhin im Mai 1992 den libertären Infoladen Bankrott.

 

[35] Linksradikales Städtetreffen gegen den WWG, in: Unfassba Nr. 14/15, ebd., S. 52

 

[36] Vgl. AuftAkt, in: Unfassba Nr. 16/17, a.a.O., S. 2

 

[37] Vgl. Ali En, a.a.O., S. 5

 

[38] Ebd.

 

[39] Ebd, S. 6.

 

[40] Die Redaktiere: "Laßt uns Denken anstiften, statt vorschreiben", in: Un­fass­ba Nr. 18, Utrecht, Frühjahr 1996, S. 3.

 

[41] Horst Stowasser: Leben ohne Chef und Staat : Träume und Wirklichkeit der Anarchisten, Karin Kramer Verlag, Berlin 1993, S. 192

 

[42] Liste lesenswerter Zeitungen & Zeitschriften (zwischen gelebter Subversivi­tät und fundamentaloppositioneller Kritik, eine Auswahl), in: Apoplex Nr. 13, Münster, Mai 1996, S. 12.

 

[43] Subversives Blätterrauschen, a.a.O.

 

[44] Vgl. Vorwort, in: Unfassba Nr. 19, Utrecht, Sommer 1996, S. 3.

 

[45] Vorwort, in: Unfassba Nr. 19, ebd.

 

[46] Vgl. Pressemitteilung zu den Durchsuchungen am 14. 08. 96, in: Frei­raum, anarchistische Zeitung Nr. 25, München, Herbst 1996, S. 47.

 

[47] Ebd.