Artikel zur Geschichte der "unfassba"
XVI.9 Unfassba (Unfi)
Textauszug aus: Bernd Drücke, Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse, Verlag Klemm & Oelschläger, Ulm 1998, 640 Seiten, S. 359 ff., Siehe: http://www.graswurzel.net/laden/
„Für viele war die Unfi nur eine von zig Infoblättern. Für uns und einige andere bedeutete sie einen Freiraum zu haben, in dem du ohne Blatt vorm Mund und ohne Schere im Kopf Sachen veröffentlichen kannst, die oft Spaß machen aber eben auch nicht selten verboten werden. Seien es nun Anleitungen zur Herstellung von Buttersäure, polizeifeindliche Collagen, bitterböse Real-Satiren, verbotene Widerstandscomix wie ‘Asterix und das Atomkraftwerk’, Volxsporterklärungen, HeRZschläge, Klau-Tips, Fakes oder einfach nur wütende staatsfeindliche Polemiken.“[1]
Als Nachfolgeblatt der im Juni 1989 in Unna herausgekommenen HausbesetzerInnenzeitschrift Unslhausn erschien im Frühjahr 1990 die Unfassba Nr. 1.[2] Die anonyme, über Postfächer im Münsteraner Umweltzentrum (UWZ) und einer Antifa-Gruppe im Unnaer Jugendzentrum (JZ) zu erreichende Redaktion dieser chaotisch und verbalradikal wirkenden Ausgabe kündigte an, daß sie für die nächste Nummer leerstehende Häuser in Unna fotografieren und „die namen der besitzer/innen, die fotos und den grund des leerstands veröffentlichen“[3] wolle. Dieses Versprechen wurde nicht eingelöst und der Charakter als Unnaer Lokalinfo ging in der zweiten Ausgabe weitgehend verloren; obwohl der Untertitel „unna - n - genehmes blatt“ ein letztes Mal beibehalten worden war, hatten nur noch fünf der 36 DIN A4 Seiten lokalen Bezug. Als weitere „Kontaktadresse für HandverkäuferInnen“ erschien das Gelsenkirchener „Pankhaus Münchner Straße“. Inhaltlich beschäftigte sich Nr. 2 u.a. mit Übergriffen von Beamten gegen Menschen aus der PunkerInnen-, Hippie- und Autonomenszene in Unna, Dortmund und Gelsenkirchen, mit theoretischen Texten zum Anarchismus, Berichten aus der Anti-AKW-Bewegung, Aktionskunst in Ostberlin, einem „Demobericht Bankfurter Mai“, Antifaberichten aus Dortmund, Münster, Potsdam und „Ost-Bullin“, „Zensur in der Bundesrepublik“, Hausbesetzungen in London und Marburg, den „Antikapitalistischen Aktionstagen in Hamburg“, einem Artikel „Bär bleibt hier. Keine Ausweisung von Ralf Reinders. Gefangener aus der Bewegung 2. Juni“ und einer „Erklärung von Isabel Jacob“. Die Rubrik „Schwarzes Brett“, in der Selbstdarstellungen, Gedichte, kurze Artikel und Kleinanzeigen dokumentiert wurden, war von nun an Bestandteil des Periodikums.
„Unfassba ist eine kleine überregionale Zeitung, die unregelmäßig erscheint und versucht ein Stück Gegenöffentlichkeit von unten zu schaffen und anarchistisch libertäre Ideen zu verbreiten. Wir wollen zur Vernetzung der verschiedenen Bewegungen und zum gemeinsamen Kampf gegen jede Form von Unterdrückung, Umweltverseuchung und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beitragen. Wir träumen von einer herrschafts- und gewaltfreien Gesellschaft ohne Bosse und Staat und wir sind aktiv in Anti-AKW-, Häuserkampf-, Antifa- und anderen außerparlamentarischen Bewegungen.“[4]
Die dritte Nr. beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit den rechtsextremen Ausschreitungen nach dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft durch die deutsche Nationalmannschaft 1990 und auch das wiederum selbstgemachte, schwarz-rote Linolschnitt-Cover der Nr. 4 spielt auf die Geschehnisse an (siehe Abb. 70).
Während die Druckauflage peu á peu von 650 auf 1.200 Stück[5] stieg, entwickelte sich das aktionsorientierte Lokalblatt zum Regionalinfo und schließlich zu einem
„(…) überregionalen Sprachrohr anarchistischer und autonomer Gruppen mit einem manchmal abgedrehten Layout.“[6]
Dadaistisch inspirierte, selbstgezeichnete Cover und Cartoons, sowie Artikel aus den Teilbereichsbewegungen prägten ihren Stil. Neben aktuellen Artikeln und „Volxsport“-Erklärungen, wurden Texte von Emma Goldman, Michail Bakunin, Errico Malatesta, Pierre Joseph Proudhon, Erich Mühsam u.a. bekannten AnarchistInnen abgedruckt.
Studierende, die im Sommer 1991 ein schriftliches Interview mit der seit Dezember 1990 (Nr. 5) nur noch über das Münsteraner Postfach zu erreichenden Redaktion geführt hatten, analysierten in einer Seminararbeit die Ausgaben Nr. 5, 6 und 7/8. Mit dem künstlerisch gestalteten Titelbild der Unfassba Nr. 7/8 würden Aspekte des Golfkrieges, wie z.B. Flüchtlingselend, erfaßt, das amerikanische Vorgehen kritisiert. So finde z.B. eine „satirische Umsetzung ins Zeichnerische statt, wenn aus Panzer- und Bombenrauch das Wort 'Frieden' emporsteigt.“[7] Auffällig sei die „politisch-zweideutige“ Gestaltung des Titels, welcher bunt und graffitiähnlich wirke. „Ferner ist das N (…) Symbol der Hausbesetzerszene, das (…) A am Ende des Wortes steht eindeutig für Anarchie.“[8] Das Wortgebilde „Unfassba“ erwecke die Assoziation „nicht zu fassen sein“, bezüglich der „Angst vor Erfassung und Kriminalisierung durch den Staat“ und andererseits „im Sinne von Bürgerschreck und Non-Konformismus unfassbar sein.“ Der „Verzicht auf den letzten Buchstaben - das 'r' - gibt uns einen Wink auf die unkonventionelle und lässige Umgangssprache“, die in der Zeitschrift benutzt werde. Dieser „Slang“ spiegele die Einstellung der Redaktion zu „sogenannten Regeln und Normen“ wider, die es hier zu durchbrechen gelte. Da die Zeitschrift den Anspruch habe, für ihre LeserInnen Forum zu sein, werde in ihr eine „lebensnahe Sprache" benutzt. Die Spalten seien u.a. durch Comicbilder abgesetzt, die das jeweilige Thema kommentierten, zur Veranschaulichung und zur Unterstreichung von satirischen Gegendarstellungen dienten.[9] Das aus häufig wechselnden MitarbeiterInnen bestehende Redaktionskollektiv, das die Beiträge gemeinsam auswähle und diskutiere, habe den Anspruch, alle Mitglieder gleichberechtigt zu beteiligen, „obwohl es unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte gibt (Internationalismus, Lay-Out, Frauen, etc).“[10]
Breiten Raum nahmen ab Nr. 4 (Sept. 1990) Beiträge von inhaftierten LeserInnen ein. Auf Anregung der Unfassba-Redaktion bildete sich 1991 eine „Projektgruppe Knastausstellung“, die LeserInnenbriefe, Texte, Gedichte, Dokumente und Zeichnungen von Gefangenen in Münsteraner Kneipen unter dem Motto „Power durch die Mauer bis sie bricht“ ausstellte.
In der 60seitigen Nr. 7/8 (Sommer 1991) dokumentierte die Unfassba eine Hungerstreikerklärung von Achim Friedmann, dem Sprecher der Gefangenenhilfsorganisation „Solidarität e.V.“. Der in der JVA Amberg inhaftierte Friedmann begründete seinen unbefristeten Protesthungerstreik u.a. mit der „Nichtaushändigung von Infos über den Knast, oder von Zeitungen, z.B. Unfassba, Durchblick usw.“[11] Dieser Hungerstreik habe eine längere Vorgeschichte, so das Unfassba-Kollektiv,
„hierzu ist sowohl Achims Funktion als Pressesprecher der SOLIDARITÄT e.V. wichtig, als auch der fortgesetzte Zensurterror des Amberger Knastchefs. (...) Von fünf Abonnenten in Amberg kriegt keiner die Zeitung ausgehändigt, speziell unser Briefwechsel mit Achim wird fortgesetzt sabotiert. (...) Die Amberger Knastleitung reagiert auf jeden Versuch von Gefangenen, selbstorganisiert Interessenvertretungen zu bilden, mit hysterischer Repression. (...) So wird auch Achims politische Arbeit verhindert, indem unliebsame Post mit fadenscheinigen Begründungen nicht ausgehändigt wird, das gleiche gilt für Zeitungen, deren furchtbar umstürzlerischer Inhalt (...) Achims Vollzugsziel (Anpassung, ‘Resozialisierung’, Aufgeben von Widerstand) gefährden könnte. Was sind wir auch für Schweine Achims Vollzugsziel zu gefährden.“[12]
Die Unfassba analysierte das Verhältnis der libertären Szene zu den sogenannten „sozialen Gefangenen“:
„Wenn wir ehrlich sind, müssen wir eingestehen, daß Knast auch in unseren Zusammenhängen nur dann Thema ist, wenn politische Gefangene sich gegen den Knastterror wehren. Die vielen ‘sozialen’ Gefangenen, die ebenso der Folter durch Isolationshaft, den Schikanen durch ‘Hausstrafen’ und ‘Disziplinierungsmaßnahmen’, der Willkür der reaktionären Knastbosse und außerdem der Zwangsarbeit zu Hungerlöhnen unterworfen sind, werden meistens vergessen. Wir sollten nicht vergessen, daß Repression nicht nur den radikalen Widerstand trifft. (...) Knäste gehören abgeschafft.“[13]
Die Forderung nach „freier Kommunikation zwischen drinnen und draußen und unter den Gefangenen“ sei keine reformistische Forderung, die den Knast nur verschönern bzw. erträglicher machen solle, sondern ihre Verwirklichung stelle
„die Grundlage für gemeinsame Kämpfe, gemeinsamen Widerstand gegen das menschenverachtende Knastsystem dar, das keine Randerscheinung dieser Gesellschaftsordnung ist, sondern ihre deutlichste Ausformung.“[14]
Nach Angaben der Redaktion wurden ca. 200 für Gefangene bestimmte Freiexemplare beschlagnahmt bzw. „zur Habe“ genommen.[15] Das Kollektiv wählte eine ungewöhnliche Form, um gegen diese repressiven Maßnahmen zu protestieren. In Kleinanzeigen wurde „aus einer klassischen Anhalteverfügung“ zitiert:
„Andere über uns: 'Der Inhalt des Druckwerks Unfassba gefährdet das Ziel des Vollzugs und die Sicherheit und Ordnung der Anstalt erheblich. Die gesamte Ausgabe ist von einer agitatorischen, auf Aufwiegelung der Gefangenen gerichteten Grundtendenz… Anarchie wird verherrlicht, zum Widerstand wird aufgerufen.'(…)“[16]
Bald darauf gingen Repressionsorgane gegen das Projekt vor. Während das seit November 1991 bestehende zweite Redaktionspostfach in den Räumen des Bochumer Initiativkreis für Gefangenenarbeit (IGA) unbeanstandet blieb, wurden am 7. Januar 1992 in Münster das UWZ und die UWZ-Druckerei durchsucht. Sieben Stunden lang suchten 80 PolizistInnen, BKA- und LKA-Beamte nach Hinweisen auf „Verfasser, Herausgeber, Hersteller und Verbreiter der Druckschrift unfassba Nr.7/8“.[17] Mutmaßliche SympathisantInnen seien im Umkreis von 50 Metern kontrolliert, ein „besorgter Bürger“ kurzfristig festgenommen, das Archiv, der Verkaufsraum, Postfächer, Ordner usw. „beschnüffelt“ und abfotographiert worden.[18] In der Münsteraner Presse begründete das BKA die Razzia damit, daß es sich bei dem „periodisch erscheinenden Druckwerk Unfassba (in dieser Schreibweise)“ um eine „ohne Impressum veröffentlichte Publikation“[19] handelt, die verdächtigt werde, die RAF sowie „eine weitere terroristische Vereinigung“[20] zu unterstützen. Mit dem in der Nr. 7/8 dokumentierten Artikel „Schluß mit der Zwangspsychatrisierung von Sven!“ habe die Redaktion für die RAF geworben. Beschlagnahmt wurden u.a. „21 Aludruckplatten Unfassba Nr. 10“, Exemplare der Nr. 7/8 und Nr. 10, Kopien der bereits erwähnten wissenschaftlichen Arbeit, ein vermeintliches Kinderbuch „Die Rote Zora“[21] und ein Exemplar der radikal Nr. 144 (Teil 2). Da es in den letzten Wochen Durchsuchungen im Infoladen M 99 Berlin, Schwarzmarkt Hamburg, Infoladen Karlsruhe, Infoladen Passau, dem Aktionszentrum Alhambra in Oldenburg, dem AJZ in Bielefeld und dem Buchladen Le Sabot in Bonn gegeben hatte, sah die Ladengruppe die Razzien im Zusammenhang mit den „bundesweiten Aktionswochen des BKA gegen kritische Zeitungen und Infoläden“. Größtenteils seien „unbequeme Infos, Bücher (Rote Zora) und Zeitungen wie radikal, agitare bene, Prozeßinfo oder (…) Unfassba Nr. 7/8“ als Begründung für die Razzien herangezogen worden. „Einschüchterung und Rufmord in der Öffentlichkeit“ seien Ziele der Aktion in Münster.
„Dabei wissen sie selber, daß wir nicht, wie von ihnen behauptet, 'Organisationszusammenhänge für die RAF' schaffen.“[22]
Die Redaktion reagierte auf die Kriminalisierung zunächst mit dem für das „witzig zusammengestellte, munter experimentierende und erfrischend freche Militanzblatt aus der A-Szene“[23] typischen „schwarz-roten“ Galgenhumor. In einem mit „Unfassba - wir über uns“ betitelten Flugblatt äußerte sie sich ablehnend zur „RAF“:
„Zum Schluß wollen wir uns hier noch von der 'RAF' distanzieren. Die 'RAF' ist eine terroristische Vereinigung im Wortsinn des § 129a, deren Ziele darauf gerichtet sind, Mord, Totschlag und Völkermord, Verbrechen gegen die persönliche Freiheit, Brandstiftung, Herbeiführung von Kern- und Sprengstoffexplosionen, gefährliche Eingriffe in den Straßen-, Schienen- und Luftverkehr zu begehen. Fast alle diese Verbrechen haben die Massenmörder der Royal Air Force zuletzt vor einem Jahr während des Golfkriegs verübt.
Außerdem distanzieren wir uns auch noch von anderen terroristischen Vereinigungen: allen Staaten, der Bundeswehr, SEK, MEK, USK, GSG 9,… Wir wollen eine gewaltfreie Gesellschaft. Nicht Chaos, sondern Ordnung ohne HERRschaft ist unser Ziel: ANARCHIE!
Das intergalaktische Unfassba-Kollektiv (kreist im UNFO um den Orbit).“[24]
Während ein breites Bündnis von 90 Gruppen[25], von der Katholischen Studierenden Gemeinde Münster bis zum Initiativkreis Hafenstraße Hamburg, gegen die Durchsuchungen protestierte, wurden weitere Ausgaben inkriminiert: Im Februar 1992 wurde ein Ermittlungsverfahren nach § 111 StGB eingeleitet, da mit der im September 1991 erschienenen Unfassba Nr. 9 „öffentlich zu Straftaten aufgefordert“ worden sei.[26] Am 9. März 1992 durchsuchten Polizeibeamte in Bremen den Antifa-Infoladen, den Infoladen der Bremer BürgerInnen gegen Atomanlagen (BBA), sowie zwei Privatwohnungen. Beschlagnahmt wurden u.a. fünf Exemplare der radikal Nr. 145, Teil 1, neun Exemplare der Unfassba Nr. 10 und acht Exemplare der Unfassba Nr. 11 (März/April 1992).[27] Nach der Kriminalisierung der Nr. 7/8, 9, 10 und 11 mit Hilfe der §§ 111, 129a und 130a StGB[28] löste die Redaktion ihre Postfächer in Bochum und Münster auf. Die 64seitige Nr. 12/13 erschien als „Zeitung für leere Versprechungen“ (Untertitel) im Juni 1992 in Kopenhagen. Postfachadressen in der Bundesrepublik „lassen sich vom Staatsschutz einfach angreifen und kriminalisieren“, so die „Unviehcher“.[29] In Dänemark sei das anders. Dort gebe es keinen § 129a oder „ähnliche Schnüffelparagraphen“.[30]
Eine Redakteurin kritisierte u.a. den Umgang der Redaktionsgruppen mit der Kriminalisierung:
„sicher haben auch wir nicht ganz richtig reagiert, wie z.b. bei 'wir über uns'. was mich an dem papier stört, ist die ständige selbstdarstellung, (…) der text war mehr für uns, so nach dem motto 'wie mach ich mir am besten mut' oder 'wenn die nacht am tiefsten ist,…' und spiele meine angst runter. er ist zu cool, nix über gefühle, es macht vielleicht sogar den anschein, als ginge uns das alles meilenweit am arsch vorbei. dem war allerdings ganz und gar nicht so!“[31]
Nachdem das Postfach im Kopenhagener Infoladen Zapata aus politischen Gründen aufgegeben worden war[32], erschien Ende November 1992 im niederländischen Utrecht die (mit Beilage) 72 Seiten umfassende Unfassba Nr. 14/15 u.a. mit den Schwerpunkten Antifa und „Sexismus und Hierarchien in autonomen Strukturen“. Hier ging es u.a. um die Aussperrung (durch Schlösseraustausch und Androhen von Prügel) von Menschen aus der UWZ-Ladengruppe und weiteren UWZ-MitarbeiterInnen, die die Forderung der Frauen/Lesbenarchivgruppe nach einem „autonomen Frauen- und Lesbentag und dem Abbau von hierarchischen Strukturen im UWZ“ unterstützt hatten. Die Redaktion druckte Papiere der beteiligten Fraktionen ab[33], solidarisierte sich mit den Ausgesperrten[34] und unterstützte einen Aufruf des linksradikalen Städtetreffens gegen den Weltwirtschaftsgipfel:
„Wir sind nicht bereit, Menschen, die die Forderung nach einem Frauen/Lesbentag nicht mit einer gleichberechtigten Diskussion begegnen und sich stattdessen mit dem Ausspielen von Machtstrukturen (sexistisches Verhalten und das Innehaben von Funktionen im UWZ) einer inhaltlichen Auseinandersetzung entziehen, weiter zu unterstützen. Wir solidarisieren uns mit den Rausgeschmissenen, die bis zum April 1992 ihre Arbeit im UWZ eingebracht haben und unterstützen die Forderung der Frauen/Lesben nach sofortiger Rückgabe des Frauen/Lesbenarchivs.“[35]
Im April 1995 brachte ein neues Kollektiv 1.500 Exemplare[36] der 80seitigen Unfassba Nr. 16/17 unter der beibehaltenen niederländischen Postfachadresse heraus. Ein ehemaliger Redakteur begründete dort das lange Schweigen, ohne auf die Umstände genauer einzugehen. Nach Erscheinen der Nr. 14/15 sei es 1993 „aus verschiedenen Gründen“ zum Ausstieg der meisten RedakteurInnen gekommen. Die Übriggebliebenen hätten nur noch sporadisch die Post bearbeitet und versucht, neue Leute zu gewinnen, die das Projekt „samt Infrastruktur, Abos, noch vorhandenem Geld usw.“ übernehmen könnten. Durch die Repressionsmaßnahmen sei die Redaktion so eingeschüchtert gewesen, daß sie „beinahe das Handtuch geworfen“ hätte. Die in der Vergangenheit gefällten Urteile gegen angebliche Redakteure z.B. der radikal und der Sabot würden zeigen, daß das „Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nur Makulatur ist“.[37]
„Linksradikale Magazine, die sich rausnehmen, unzensiert und laut zu sagen, was ist, werden m.E. zukünftig kaum noch ohne Auslandsadresse auskommen.“[38]
Aufgrund ihres „100%ig legalen Konzeptes“ seien die MacherInnen anarchistischer Zeitschriften wie SF, da oder GWR, gezwungen, manchmal mit der „Schere im Kopf“ zu arbeiten. Die Unfassba könne sich „sozusagen bei den Schergen für die Kriminalisierung bedanken“, denn die Repression habe sie gezwungen, eine „verdecktere Struktur“ aufzubauen, die der seit einem Jahr bestehenden neuen Redaktion einen „relativen Schutz vor Faschos, Staatsschutz und Hetzpresse“ bieten könne.[39]
Das neue Kollektiv übernahm den Titel, änderte aber die Konzeption. Texte zu „Moderne und Ambivalenz - Libertäre Aspekte in Zygmunt Baumans Soziologie der Postmoderne“ und „Die Ideologie des Krieges. Nation, Staat und Demokratie am Beispiel Jugoslawiens“ verdeutlichten, daß die „auf ein Mindestmaß an Aktiven zusammengeschrumpfte“[40] Gruppe andere Schwerpunkte setzen wollte, als die VorgängerInnen. Die „militante Anarchozeitschrift im Untergrund“[41] hatte sich in ein anarchistisches Theoriemagazin verwandelt. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch eine „spärliche“ Gestaltung der inhaltlichen Beiträge. Im Gegensatz zu früheren Ausgaben, wurde weitgehend auf Cartoons, Collagen, satirische Mittel und kämpferisches Vokabular verzichtet. Im Apoplex wurde der „Ex-Spaß-Bote in der autonom/anarchistischen Presselandschaft“, der „immer für Überraschungen gut“ sei, nun als „konzeptloser Mix von amüsanten bis gefährlichsten Bewegungsthemen“[42] charakterisiert und AutorInnen des Buches „20 Jahre radikal“ konstatierten, daß die im Frühjahr 1996 herausgebrachte Unfassba Nr. 18 „vom Layout und Stil weniger an den 'Zentralorkan der Spaßgerrillja', als an den SF der frühen 80er Jahre“[43] erinnere.
Aufgrund der mangelhaften Zahlungsmoral der AbonnentInnen befand sich das Projekt in einer permanenten finanziellen Krise. Trotzdem erschien im Sommer 1996 Unfassba Nr. 19, die vermutlich letzte Ausgabe. Nachdem die letzte „Unfi“ (Untertitel) mit Artikeln zum Krieg in Jugoslawien und dem Völkermord an den ArmenierInnen „ziemlich finster aufgehört“ habe, habe sich das Kollektiv diesmal bemüht, optimistischer „zu werkeln“[44].
„Als AnarchistIn hat mensch selten Grund, sich über das Weltgeschehen zu freuen, aber die rot-schwarzen Fahnen der EZLN waren für uns ein Grund dazu. Ebenso der Widerstand gegen den Castor, die ruinierte Gelöbnis-Zeremonie in Berlin, ein Haufen schöner Briefe und (herrlich!) neue Abos! Eine Menge Cartoons und ein bunteres Layout sind auch dazu gekommen.“[45]
Am 14. August 1996 durchsuchten LKA-Beamte in München den Infoladen, einen Stadtteilladen und eine Privatwohnung. Hintergrund war ein Verfahren gegen den Anmelder eines Infostandes, auf dem die Polizei ein Exemplar der Unfassba Nr. 18 beschlagnahmt hatte. Mit „Beihilfe zur Werbung für eine terroristische Vereinigung“ sei die Razzia begründet worden. Dem Beschuldigten werde vorgeworfen, er hätte gewußt, daß in der Unfassba Nr. 18 eine Anzeige für die radikal Nr. 153 abgedruckt worden und deren Verbreitung wegen zwei Texten illegal sei[46], so die Infogruppe München. Sie bewertete das Verfahren und die Durchsuchung als „reine Schikane und eine Machtdemonstration der Polizei.“
„Wir protestieren gegen die Durchsuchung des Infoladens, des Stadtteilladens Haidhausen und gegen die Kriminalisierung der Zeitschriften Radikal und Unfassba.“[47]
[1] Ali En: Unfassba - Terroristische Vereinigung e.V.? Rückblick auf fünf unfassbare Jahre aus der Sicht eines Ex-Aliens, in: Unfassba Nr. 16/17, Utrecht, April 1995, S. 5-11, hier S. 5 f.
[2] Vgl. Subversives Blätterrauschen. Stand und Zustand autonomer Medien, a.a.O., S. 191-192.
[3] Vorwort & Impressum, in: Unfassba Nr. 1, Unna, März 1990, S. 2.
[4] Unfassba, in: Antifaschistischer Kalender 1991, Münster, 1990, ohne Paginierung.
[5] Vgl. VERZEICHNIS DER alternativMEDIEN Ausgabe 1991/92, a.a.O., S. 140 und Unfassba Nr. 16/17, Utrecht, April 1995, S. 2.
[6] Subversives Blätterrauschen, a.a.O.
[7] Guido von Fürstenberg, Kirsten Hahn, Matthias Kopp: unveröffentlichte Seminararbeit (40 S.) zum Thema "Blätterwald": Die "Unfassba", Seminar "Technik und Gesellschaft" (bei Professor Tschiedel) am Institut für Soziologie der WWU Münster, Sommersemester 1991, S. 5/6.
[8] Ebd.
[9] Ebd, S. 7.
[10] Ebd, S. 9.
[11] Aufruf von Achim Friedmann (Amberg) (seit 20.4. im Hungerstreik), in: Unfassba Nr. 7/8, Münster, Juni 1991, S. 47.
[12] Unfassba Nr. 7/8, a.a.O., S. 46 f.
[13] Ebd.
[14] Ebd.
[15] Vgl. Ali En: Unfassba - Terroristische Vereinigung e.V.?, a.a.O., S. 7.
[16] Unfassba, in: Land unter Nr. 5, a.a.O., S. 63.
[17] Ermittlungen gegen Umweltzentrum, in: MZ, 8. Jan. 1992, S. 1.
[18] Vgl. Pressererklärung der Ladengruppe des Umweltzentrums Münster zur Hausdurchsuchung am 7.1.92, in: Unfassba Nr. 11, Münster, Bochum, März 1992, S. 22.
[19] Wegen Verdachts der Unterstützung der Roten Armee Fraktion (RAF) Polizei durchsucht Umweltzentrum, in: WN, Münster, 8.1.1992, S. 1
[20] "Hinweise erhalten", in: MZ, Münster, 9. Jan. 1992, S. 1.
[21] 1989 brachte der Frankfurter Verlag Sauerländer AG die 28. Auflage (249. bis 264. Tausend) eines Buches über ein bekanntes rothaariges Mädchen und ihre Bande heraus. 1991 und 1992 durchsuchten BKA und Polizei zahlreiche linke Buch- und Infoläden, in denen sie glaubten, das Kinderbuch zu finden. Da, wo es erhältlich war, beschlagnahmten sie es und leiteten §129a-StGB Verfahren gegen die LadenbetreiberInnen ein. Es stellte sich heraus, daß unter dem Impressum und Cover des Kinderbuchs Rote Zora Theorie- und Praxistexte, Erklärungen und Anleitungen der gleichnamigen und aus dem Untergrund agierenden Frauengruppe veröffentlicht wurden.
[22] Ebd.
[23] Ralf G. Landmesser: Wegweiser durch den anarchistischen Blätterwald, in: Anarchistischer Taschenkalender 1996, Berlin 1995, o.S.
[24] Unfassba - wir über uns, in: Unfassba Nr. 11, a.a.O., S. 3.
[25] Vgl. Unfassba Nr. 12/13, Kopenhagen, Sommer 1992, S. 2.
[26] Vgl. Unfassba Nr. 11, a.a.O., S. 2. Im Okt. 1991 wurde das § 111 StGB Ermittlungsverfahren eingestellt.
[27] Vgl. Presseerklärung von BBA- und Antifa-Infoladen: Durchsuchungswelle kam in Bremen an, in: Unfassba Nr. 12/13, a.a.O., S. 39.
[28] Vgl. Subversives Blätterrauschen, a.a.O.
[29] Vgl. Eure außerirdischen Unviecher: Hallohoi, in: Unfassba Nr. 12/13, a.a.O., S. 2.
[30]Ebd.
[31] Nina: HAI, in: Unfassba Nr. 12/13, Kopenhagen, Sommer 1992, S. 4
[32] Vgl. Unfassba zum Zapata-Konflikt, vierseitige Beilage in Unfassba Nr. 14/15, Utrecht, Nov. 1992
[33] Vgl. Unfassba Nr. 14/15, ebd., S. 48 - 57
[34] Die Ausgesperrten gründeten daraufhin im Mai 1992 den libertären Infoladen Bankrott.
[35] Linksradikales Städtetreffen gegen den WWG, in: Unfassba Nr. 14/15, ebd., S. 52
[36] Vgl. AuftAkt, in: Unfassba Nr. 16/17, a.a.O., S. 2
[37] Vgl. Ali En, a.a.O., S. 5
[38] Ebd.
[39] Ebd, S. 6.
[40] Die Redaktiere: "Laßt uns Denken anstiften, statt vorschreiben", in: Unfassba Nr. 18, Utrecht, Frühjahr 1996, S. 3.
[41] Horst Stowasser: Leben ohne Chef und Staat : Träume und Wirklichkeit der Anarchisten, Karin Kramer Verlag, Berlin 1993, S. 192
[42] Liste lesenswerter Zeitungen & Zeitschriften (zwischen gelebter Subversivität und fundamentaloppositioneller Kritik, eine Auswahl), in: Apoplex Nr. 13, Münster, Mai 1996, S. 12.
[43] Subversives Blätterrauschen, a.a.O.
[44] Vgl. Vorwort, in: Unfassba Nr. 19, Utrecht, Sommer 1996, S. 3.
[45] Vorwort, in: Unfassba Nr. 19, ebd.
[46] Vgl. Pressemitteilung zu den Durchsuchungen am 14. 08. 96, in: Freiraum, anarchistische Zeitung Nr. 25, München, Herbst 1996, S. 47.
[47] Ebd.