Die Geschichte des Häuserkampfs in Münster

In Erwägung, dass da Häuser stehen
während ihr uns ohne Bleibe lasst
haben wir beschlossen jetzt dort einzuziehen
weil es uns in unsern Löchern nicht mehr passt

Bertold Brecht

Die Geschichte des Häuserkampfs in Münster muss im Zusammenhang mit den bundesweiten HausbesetzerInnenbewegungen gesehen werden.

In der Bundesrepublik fanden Anfang der siebziger Jahre im Zusammenhang mit der StudentInnenbewegung erste Hausbesetzungen in Universitätsstädten und Metropolen wie Frankfurt/M., Hamburg und West-Berlin statt.

Die Hausbesetzungen waren oft Ausdruck eines politischen Konzepts, welches sich gegen den Kapitalismus richtete: Insbesondere den aus dem studentischen Milieu entstammenden HausbesetzerInnen ging es um die Herstellung einer einheitlichen Kampfbewegung, bestehend aus Studierenden und ArbeiterInnen, um die Verbindung der ArbeiterInneninteressen mit denen der Studierenden und um den gemeinsamen Kampf gegen die zunehmende fremdbestimmte und individualisierte kapitalistische Arbeitswelt. Das kollektivistisch organisierte Leben in den Kommunen und besetzten Häusern galt als Gegenmodell zu der zunehmend als Entfremdung wahrgenommenen Lebensweise im kapitalistischen System. Es galt, die „Trennung des Lebens im Kapitalismus in Arbeit einerseits und Freizeit andererseits“ aufzuheben und zugunsten kollektivistischer Lebensformen zu beseitigen. Das kollektivistische Konzept war somit Ausdruck des Traums von einem menschlicheren Leben. Es richtete sich deshalb gegen das kapitalistische Gesellschaftssystem, weil dieses in den Augen der HausbesetzerInnen für die Trennung beider Lebensbereiche verantwortlich war.

Vor dem Hintergrund der Innenstadtumstrukturierungen, die mit steigenden Mieten und spekulativem Leerstand von Wohnhäusern einherging, prägte die aus mehr als 1.000 Aktiven bestehende Sponti-Fraktion von 1971 bis 1974 die Frankfurter HausbesetzerInnenszene. Viele AktivistInnen waren zuvor insbesondere im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) aktiv.

Anfang der achtziger Jahre erlebte die Bundesrepublik die bis dahin größte Welle von Hausbesetzungen. Zentrum der HausbesetzerInnenbewegung war West-Berlin. Im Winter 1980/1981 hatte die Anfang der siebziger Jahre entstandene West-Berliner HausbesetzerInnenbewegung mit zeitweise über 160 instandbesetzten Häusern ihren ersten Höhepunkt erreicht. In den besetzten Häusern lebten unter der Parole „Legal-illegal-scheißegal!“ bis zu 3.000 Menschen, die weite Teile ihres alltäglichen Lebens kollektiv und selbst organisierten. In diesem sozialen Milieu entwickelte sich eine lebendige, vielfältige Gegenkultur mit Kabarett-, Musikgruppen u.v.a.

Veranlasst von dem damaligen Bürgermeister Richard von Weizsäcker und seinem Innensenator Heinrich Lummer (beide CDU), wurden ca. zwei Drittel der besetzten Häuser in der ersten Hälfte der achtziger Jahre von der Polizei geräumt, ca. ein Drittel wurden legalisiert. Es kam zu zahlreichen gewalttätigen Räumungen. Nachdem am 22. September 1981 der Hausbesetzer Klaus Jürgen Rattay von Polizeibeamten über eine Straße gehetzt und von einem Bus überfahren worden war, deutete sich das Ende der Bewegung an.

Nur vereinzelt kam es danach noch zu Besetzungen und so schien die BesetzerInnenszene in Berlin zerschlagen zu sein, als es 1990 zu einer Renaissance dieser Bewegung im Ostteil der sich wiedervereinigenden Stadt kam.

Hausbesetzungen waren auch in der DDR nichts Neues. In Ost-Berlin gab es z. B. seit 1982 „stille Hausbesetzungen“ in der Fehrbelliner Straße. Nach der Öffnung der Mauer wurden in Ost-Berlin zahlreiche Häuser instandbesetzt und in dem neu entstandenen „rechtsfreien Raum“ erblühte eine zu großen Teilen anarchistisch-autonom ausgerichtete HausbesetzerInnenbewegung. Weil im Westteil Berlins mit wenigen Ausnahmen (Marchstraße/Einsteinufer in Charlottenburg) alle besetzten Häuser geräumt worden waren, konzentrierten sich neben den zum Teil aus der DDR-Oppositionsbewegung kommenden BesetzerInnen nun auch West-Berliner Autonome auf die Neubesetzung von Häusern im Ostteil der Stadt oder zogen in dort bereits besetzte Häuser ein.

Im Herbst 1990 befand sich Ost-Berlins HausbesetzerInnenbewegung mit mehr als 130 besetzten Häusern auf dem Höhepunkt.

Am 30. Juli 1990 hatte der Magistrat die von Volkspolizisten durchgeführte Räumung des eine Woche vorher besetzten Hauses in der Oranienburger Straße 186 angewiesen. Damit versuchte er die zuvor verkündete „Berliner Linie“ durchzusetzen, die darin bestand, von nun an jede Neubesetzung umgehend zu räumen.

Nachdem mehrere Hundertschaften der Polizei aus der gesamten Bundesrepublik zusammengezogen worden waren, um die von Bürgermeister Walter Momper (SPD) gewünschte Räumung des Zentrums der BesetzerInnenbewegung in der Mainzer Straße und zahlreiche weitere besetzte Häuser im November 1990 durchzusetzen, zerbrach die in Berlin regierende Rot-Grüne Koalition. Auch die BesetzerInnenszene geriet zunehmend in eine Krise.

D. Wolf, Autor der Ost-Berliner Oppositionszeitschrift telegraph, sah hier die direkten Auswirkungen des Verfalls der HausbesetzerInnenszene. Nach der Räumung der Mainzer Straße hätten sich die besetzten Häuser zunehmend „auseinanderdividiert“. Nachdem Ende 1991 die Verhandlungen abgeschlossen wurden und „der Schock über die Räumung der Mainzer Straße langsam verblaßte“, sei die BesetzerInnenbewegung „endgültig“ eingeschlafen.

Häuserkampf in Münster

In der Universitätsstadt Münster entwickelte sich ebenfalls ab Anfang der 1970er Jahre eine HausbesetzerInnenbewegung. 

Grevener Straße 31

Am 15. November 1972 wurde das bis dahin seit einem Jahr leer stehende Haus in der Grevener Straße 31 von Studierenden besetzt. Ein Hintergrund dieser Besetzung war die katastrophale Wohnsituation in Münster. 25% der Erstsemester standen Ende Oktober 1972 auf der Straße, 2000 Studierende waren ohne Bleibe und übernachteten zum Teil in Zelten. Am 18. November 1972 schloss der Allgemeine Studierenden Ausschuss (AStA) der Uni mit der Stadt Münster einen Vertrag über die weitere Nutzung der Grevenerstr. 31 durch die BesetzerInnen , der zunächst auf 2 ½ Jahre befristet war.

Frauenstraße 24

Die erfolgreiche Besetzung der Grevener Straße 31 wirkte sich positiv auf die überwiegend studentische HausbesetzerInnenszene in Münster aus.

Wenige Wochen später wurde das abrissbedrohte Haus in der Frauenstraße 24 besetzt. Zuvor hatte ein Makler das Gebäude „systematisch verkommen lassen“ und eine Abbruchgenehmigung erreicht, „die das Grundstück zum profitträchtigen Spekulationsobjekt machte“, so die HerausgeberInnen der „Broschüre gegen Umstrukturierung und Wohnungsnot“ Schlimmer wohnen in Münster. [1] Durch eine der längsten Hausbesetzungen in der Geschichte der Bundesrepublik, konnte der Abriss verhindert werden. Die bis heute existierende selbstverwaltete Kneipe im Erdgeschoss des Wohnhauses Frauenstraße 24 wurde von den BesetzerInnen als Treffpunkt und zur Finanzierung von Aktionen und Gerichtsprozessen betrieben. Nach gescheiterten Räumungsversuchen und einem versuchten Brandanschlag auf das Gebäude wurde die „f24“ erst 1981 legalisiert. „das haus wurde vorm abriss gerettet und die kneipe blieb und ist nun seit über zwei jahrzehnten in trägerschaft des gleichnamigen vereins. dies bedeutet konkret: wir arbeiten nicht-kommerziell, eventuelle gewinne kommen der kulturarbeit zugute. und: alle wichtigen entscheidungen werden nicht von einem allein, sondern im verein gefällt und umgesetzt“, so die f24 im April 2007. [2]

Sertürnerstraße

Inspiriert auch durch Hunderte von Hausbesetzungen in West-Berlin, Hamburg, Köln und anderswo, bekam die HausbesetzerInnenbewegung in Münster Anfang der 1980er Jahre neuen Schwung.

Als eine im Münsteraner Arbeitskreis Umwelt (AKU) aktiven Gruppen hatte sich die „Wohnraumrettungsinitiative“ (WRI) gegründet, die sich intensiv mit dem Schwerpunktthema Wohnungsnot beschäftigte.

Die Besetzung am 26. Januar 1980 war entsprechend gut organisiert: 600-700 Menschen besetzten mehrere Häuser an der Sertürnerstraße. Die alternative Münsteraner Stadtzeitung Knipperdolling berichtete im Februar 1980:

„Noch am selben Abend wurden spontan unzählige Matratzen, Kocher, Kerzen, Decken, Stühle usw. herangeschafft. Im Hintergrund blieb die Münsteraner Polizei – nach hektischen Verhandlungen der Stadtverwaltung mit dem Einsatzleiter Braun. Lediglich ein Streifenwagen und Zivilpolizei begleitete die Wohnraumrettungsaktion. Aus grüninformierten Kreisen dann über Radio die zynische Strategie: Die Kälte wird die Besetzer bis auf ein paar unentwegte aus dem Haus treiben!

Ätsch kann man da nur sagen. Inzwischen sind längst von Sympathisanten gespendete Öfen angeschlossen.“

Marienthalstraße 8

Am 13. Oktober 1980 wurde das gut erhaltene Haus Marienthalstraße 8 besetzt, welches vier Monate später, am 17. Februar 1981 durch ein großes Polizeiaufgebot geräumt wurde.

Nachdem die WRI Ende März einen bundesweiten HausbesetzerInnenkongress in Münster veranstaltet hatte, besetzten im Juli 1981 rund 200 Menschen ein Gebäude in der Engelstraße.

„Am nächsten Morgen wurden 50 BesetzerInnen brutal geräumt. Einige wurden regelrecht krankenhausreif geschlagen.“

Steinfurter Straße

Im Dezember 1981 berichtete das Grüne Blatt:

„Seit Montag, dem 2.11. halten wohnungssuchende Studenten das ehemalige Coca-Cola Gebäude an der Steinfurter Straße besetzt. Sie fordern die Umwandlung des nicht mehr genutzten Verwaltungsgebäudes in ein Studentenwohnheim, um die katastrophale Wohnungsnot – insbesondere unter Studienanfängern – zu lindern.“

In den folgenden Jahren kam es nur noch vereinzelt zu kurzen Besetzungen. So wurde Anfang April 1988 z.B. das leerstehende Haus Coppenrathsweg 10 besetzt und kurz darauf wieder geräumt.

Um gegen den Ausbau einer Umgehungsstraße und den damit zusammenhängenden Abriss von gut erhaltenen Wohnhäusern zu demonstrieren, besetzten 1989 AktivistInnen aus dem Umfeld des 1988 in der Bremer Straße eröffneten anarchistischen Zentrums Themroc kurzfristig Häuser in der Fritz Pütter-Straße.

Im Themroc gründete sich 1989 das „Bündnis gegen Wohnungsnot und Umstrukturierung“. Hier schlossen sich Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen zusammen: „autonome Häusergruppe“, Umweltzentrum, FH-AStA, Uni-AStA, ESG, GAL, DKP, Frauenstraße 24, Aktive aus den abrissbedrohten Häusern in der Nieberdingstraße, im „Dreieck“ und Breul/Tibusstraße.

Die Mitglieder dieses Bündnisses organisierten fortan zahlreiche Aktionen gegen Wohnungsnot.

Zur Unterstützung marokkanischer Studenten wurde ab August 1990 eine Notunterkunft in der Steinfurter Straße besetzt. „Die StudentInnenschaft hatte seit Februar 1990 einen rechten AStA und dieser versuchte gemeinsam mit der Uni-Verwaltung die Marokkaner aus der Notunterkunft zu vertreiben. Wider Willen mußten die BesetzerInnen monatelang stellvertretend die Notunterkunft besetzen“, so die autonome Häusergruppe. Die BesetzerInnen konnten schließlich die Errichtung einer Notunterkunft an der Grevener Straße erreichen.

Von September 1990 bis Herbst 1991 erschienen mit dem Untertitel „Häuserzeitung Münster“ vier Ausgaben der na warte! Mit dem Titel spielte die anonyme, über ein Postfach im Themroc zu erreichende Redaktion auf die kommerzielle „Wochenschau für Münster“ na dann… an. Die na warte! wurde konzipiert als lokales Sprachrohr für alle, die „gegen Umstrukturierung, Spekulanten und Vermieter, für preiswerten selbstbestimmten Wohnraum und für besetzte Häuser kämpfen (wollen).“ [3]

Engelstraße

Nach intensiver Vorbereitung wurde am 19. Oktober 1990 die Engelstraße 59 von AktivistInnen der libertären Münsteraner Szene besetzt. „Parallel zur Steinfurter Straße ist die Besetzung damals geplant worden, allerdings in Erwartung einer sofortigen Räumung, da kurz vorher in Bremen und Hannover nach 20 bis 30 Minuten (!) geräumt worden war ist“, so die autonome Häusergruppe.

Durch viele AktivistInnen konnte eine Räumung der Engelstraße 59 zunächst verhindert werden.

Die InstandbesetzerInnen erhielten Unterstützung aus der Bevölkerung und organisierten ihren kollektiven Alltag in dem gut erhaltenen Haus ohne Strom und fließend Wasser.

Nachdem das bundesweite BesetzerInnenzentrum in der Mainzer Straße in Ost-Berlin geräumt worden war, kam es auch in Münster zu Protestaktionen der HausbesetzerInnenszene.

Aufgrund eines Unfalls kam es im November 1990 zu einem Brand in der Engelstraße 59. Die Feuerwehr löschte das Feuer und versiegelte anschließend das leicht beschädigte Haus. Unter Einsatz von Blendschockgranaten räumten daraufhin am 4. Dezember 1990 zwei Hundertschaften der Polizei und ein Mobiles Einsatzkommando (MEK) der Dortmunder Polizei das Gebäude. Die vier im Haus verbliebenen BesetzerInnen, bewaffnet mit Wasserpistolen und vermummt mit roten Pappnasen, wurden festgenommen, erkennungsdienstlich behandelt und verhört. Gegen die 50 AktivistInnen, die währenddessen in der Engelstraße gegen die Räumung und den sofortigen Abriss des Gebäudes demonstrierten, ging die Polizei mit Gummiknüppeln vor.

Breul/Tibusstraße

Die Häuser Breul 32 bis 38 und Tibusstraße 30a, b und c wurden 1880 als bescheidene Unterkunft für Kanalarbeiter gebaut. Diese älteste ArbeiterInnensiedlung innerhalb der Münsteraner Altstadt entwickelte sich ab 1989 zu einem Zentrum alternativen Lebens.

Die Wohnbau GmbH hatte die Häuser übernommen. Ihr Chef, der CDU-Politiker Tono Dreßen, wollte die Gebäude abreißen lassen um dort lukrative Eigentumswohnungen zu bauen. Wohnbau-Verwalter Wilhelm Wobbe bezeichnete sich selbst öffentlich als „Entmieter“. Die von ihm veranstalteten Aktionen und häufigen Wohnungsbegehungen wurden von den BewohnerInnen als Psychoterror empfunden. Schließlich musste er seinen Posten räumen, nachdem das Münsteraner Stadtblatt 1992 berichtet hatte, dass er vor den Augen von Bewohnern auf den Dachboden des Breul 34 gepinkelt hatte, um „die Substanz zu testen“ (Wobbe).

Die 55 Bewohnerinnen und Bewohner gründeten den bis heute aktiven Verein zur Erhaltung preiswerten Wohnraums (VzEpW). 1996 schließlich konnten sie den Abriss verhindern und bis 1998 ihre Häuser sanieren.

„Zehn Jahre lang war unser Wohnprojekt abrissbedroht, die meisten Bewohnerinnen und Bewohner hatten – wenn überhaupt – nur Pseudountermietverträge, in denen uns gedroht wurde, dass die Häuser abgerissen werden und wir innerhalb von drei Monaten wieder ausziehen müssten. Wir haben uns erfolgreich gegen die Abrisspläne gewehrt, haben Straßenfeste, Benefiz-Konzerte, Demos, direkte gewaltfreie Aktionen organisiert und unsere Räumungsprozesse gewonnen. Aus einer ‚Zwangsgemeinschaft’, die sich bilden musste, um sich gegen die Spekulanten zu stemmen, aus unterschiedlichsten Leuten ist eine Gemeinschaft von Freundinnen und Freunden gewachsen. Früher wurden wir von der Lokalpresse angegriffen als ‚Münsters Hafenstraße’: ‚Dieser Schandfleck muss beseitigt werden.’ Nach der Sanierung hat unser Verein zur Erhaltung preiswerten Wohnraums Preise für ökologisches und selbstverwaltetes Bauen bekommen. Von ‚Münsters Hafenstraße’ zum Vorzeigeprojekt des Landes NRW. Wir produzieren unseren eigenen Strom“ [4], so ein Breul-Bewohner rückblickend.

Uppenbergschule

In der Silvesternacht 1999/2000 zogen zig Menschen unbemerkt in das ehemalige Uppenbergschulgebäude in der Schulstraße ein und hingen ein Transparent mit der Aufschrift „Besetzt!“ aus dem Fenster.

„Die Idee der Besetzung war mit der Tatsache gereift, daß in Münster ein Raum fehlt, in dem sich Menschen fernab des Konsum- und Verwertungswahns treffen und ihre Träume und Utopien leben können. (...) Anfang 1999 bildete sich eine Initiative für ein Libertär Unabhängiges Zentrum (LUZI), die sich über mehrere Monate traf, Ideen sammelte und konkretisierte. Gegen Jahresende waren einige Leute auf die ehemalige und leerstehende Uppenbergschule aufmerksam geworden. Das schöne 128 Jahre alte Gebäude sollte nach den Plänen der Stadt und im Einverständnis aller Ratsfraktionen abgerissen werden und einem Parkhaus oder einem modernen Luxuswohnkomplex weichen“ [5], so eine Besetzerin rückblickend.

Erst anderthalb Tage später wurde die Besetzung von der Polizei bemerkt. Nach einer Woche Leben in akuter Räumungsgefahr teilte die Stadtverwaltung den InstandbesetzerInnen mit, dass sie bis zur Ratssitzung am 9. Februar geduldet seien und garantierten ihnen Straffreiheit. Am 9. Februar 2000 beschloss der Rat der Stadt Münster einen „zügigen Rückbau“ des Gebäudes.

Wenige Stunden später, am 10. Februar 2000 um 6 Uhr morgens, wurden die BesetzerInnen von mehr als 200 Polizisten geräumt. 100 BesetzerInnen legten nach der Räumung spontan für eine Stunde den Berufsverkehr lahm und demonstrierten lautstark gegen die Räumung und den sofort vollzogenen Abriss.

Eine Besetzerin: „Auch wenn das Gebäude zerstört werden konnte, so werden doch die Utopien, die darin verwirklicht wurden, weiter leben. Weiter leben werden viele Kontakte und Freundschaften, die in der Uppenbergschule aufgebaut wurden. Weiter leben wird auch die Erinnerung an ein Zentrum, in dem sechs Wochen lang ein kulturelles und politisches Programm auf die Beine gestellt wurde. Es wurde zusammen diskutiert, gelacht, geweint, gefeiert und getanzt und erfahren, wie wichtig selbstbestimmte Räume sind.“

Um die Gemüter der BesetzerInnenszene zu beruhigen, vermietete die Stadt ein kleines Ladenlokal in der Grevener Straße an die BesetzerInnen. Bis heute wird das Versetzt als Treffpunkt genutzt.

Der Kampf für ein Soziales Zentrum in Münster war damit aber keineswegs beendet.

Robert-Koch-Straße

Am 13. April 2001 besetzten ehemalige BesetzerInnen der Uppenbergschule ein seit 1999 leerstehendes Gebäude in der Robert-Koch-Straße. In ihrer Presseerklärung heißt es:

„Seit dem heutigen Karfreitag existiert in Münster ein neues soziales und kulturelles Zentrum! Das ehemalige Gesundheitsamt in der Robert-Koch-Straße wird hiermit nach mehrmonatigem Leerstand endlich wieder genutzt. Wie schon in der Uppenbergschule haben wir nun erneut einen Freiraum geschaffen, um unsere Idee von einem selbstverwalteten und nicht-kommerziellen Zentrum weiterzuentwickeln. Linkspolitische Gruppen, Infoläden, Therapiegruppen, Frauen/Lesben-Initiativen, alternative MusikerInnen, Volxküche sowie preiswerter Café-/Kneipenbetrieb - all das wird schon zu lange von profitorientierten Entscheidungsträgern in Rat & Verwaltung an den Rand gedrängt. Diese Klientelpolitik setzt mit prestigeträchtigen Millionenprojekten wie der Musikhalle (oder York-Center, Hafenmodernisierung, Cineplex etc.) auf die Kommerzialisierung von Kultur und ungebremsten Konsum, statt gewachsene Strukturen und alternative Initiativen zu fördern bzw. erhalten.“ [6]

Am 19. April 2001 erzwangen 180 PolizistInnen im Auftrag der Stadtverwaltung das Ende dieses Projektes.

„Entgegen der Absprache mit Einsatzleiter Udo Struebbe mussten 15 aus dem Schlaf gerissene UnterstützerInnen nicht nur ihre Personalien angeben, sondern sich nach dem friedlichen Verlassen des Gebäudes erkennungsdienstlich behandeln lassen (Fingerabdrücke, ‚Verbrecherfotos’).“ [7]

Die BesetzerInnenszene beschränkte sich in den folgenden Jahren auf öffentlichkeitswirksame Aktionen. Für ein Soziales Zentrum geworben wurde fortan z.B. bei Informationsveranstaltungen des Infoladen Bankrott, im Umweltzentrum, bei den jährlich stattfindenden Festen der seit 1990 existierenden Münsteraner Wagenburg, sowie bei den alternativen Straßenfesten der abrissbedrohten Nieberdingstraße, der Grevener Straße, der Frauenstraße 24 und von Breul und Tibusstraße.

Aufsehen erregen konnte die Initiative für ein autonomes, selbstverwaltetes Kultur- und Kommunikationszentrum (ask) als sie 2005 symbolisch eine Besetzung auf dem Aasee durchführte und damit auch an eine ähnliche Aktion von 1981 erinnerte.

Baracke, Scharnhorststr. 100

Die „B@racke“ ist seit 1997 das offizielle Gebäude der Fachschaften Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftspolitik an der Uni Münster. 1999 übernahm ein „B@rackennutzerInnenplenum“ die Organisation und Verwaltung der B@racke. "Dieses Plenum war offen für alle - sowohl Gruppen wie der Infoladen Bankrott, die Konzertgruppen und die Fachschaften als auch Einzelpersonen sollten daran teilnehmen. Mit dem Barackenplenum wurde eine basisdemokratisch funktionierende Institution geschaffen, die einen in Münster einzigartigen Freiraum erhält", so die Selbstdarstellung auf http://www.baracke.de.ms/

2002 änderte die Landesregierung Nordrhein-Westfalen die Gesetzgebung zur Raumvergabe der Universitäten: Bisher gehörten die der Uni zugestandenen Räume dem Land, nun wurde der semiprivate Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) gegründet, der die Räume an die Uni vermietet. Hintergrund ist die fortschreitende Privatisierung im Bildungsbereich: Die Hochschule sollte die Möglichkeit erhalten, billigere oder auch mehr Räume anzumieten wie auch Räumlichkeiten abzustoßen.

In den Semesterferien des Sommers 2002 sollten die Fachschaften das Gebäude räumen, da es gegenüber dem BLB gekündigt werden sollte. Daraufhin besetzten 30 bis 40 Personen die B@racke drei Wochen lang.

„Die Besetzung der B@racke ist für die Geschichte der Hausbesetzungen in Münster relevant, weil sie erfolgreich war. Während der Verhandlungen erkannte die Uni Münster erstmals statt der Fachschaften das B@rackennutzerInnenplenum als Gesprächspartner an“, so ein Besetzer.

Unter Brandschutz-, Lärm- und Versicherungsauflagen akzeptierte die Universitätsverwaltung die weitere kulturelle Nutzung der B@racke, da sie aus dem Mietvertrag mit dem BLB nicht zurücktreten konnte.

Die B@racke ist bis heute ein kulturell und unkommerziell genutzter Ort an der Universität.

Grevener Straße 31-59

Im Dezember 2006 und Ende März 2007 wurde das Haus Grevener Str.57 jeweils für mehrere Tage besetzt, um gegen den geplanten Abriss zu demonstrieren.

Am 1. April 2007 wurde das benachbarte Haus in der Grevener Str. 59 besetzt.

„Das Haus Nr.59 sollte, nachdem nun der letzte Mieter so gut wie ausgezogen ist, schnellstmöglich mit dem angrenzenden Haus Nr. 57 abgerissen werden. Die städtische Wohn + Stadtbau hat bereits die Abrissgenehmigung in der Tasche und wartet auf den Bagger... Doch wir waren schneller!

Auch diese Besetzung richtet sich gegen den geplanten Abriss der gesamten Häuserzeile 31-59 und fordert den Erhalt preiswerten Wohnraums. Gleichzeitig zeigen wir uns solidarisch mit dem Wohnprojekt in der Nr.31, mit dem selbstverwalteten Kulturcafé Versetzt in der Nr.53 und all den Mieterinnen und Mietern, die von den Abrissplänen der Stadt betroffen sind und lieber hier wohnen bleiben wollen! Nachdem anscheinend die erste Besetzung im Dezember noch einen symbolischen Charakter hatte, werden wir mit dieser dritten Besetzung Tatsachen für Politik, Verwaltung und ihre verlogene Wohn + Stadtbau schaffen! Ab sofort werden die leerstehenden Wohnungen in der 59 wieder bewohnt!“ [8], so die BesetzerInnen. 

Darüber hinaus werde die Möglichkeit geschaffen, dass im Haus kulturelle und soziale Veranstaltungen besucht oder selbst veranstaltet werden können. Hiermit solle der Wunsch vieler MünsteranerInnen nach einem Sozialen Zentrum aufgegriffen werden. In den „leider nur bedingt geeigneten Räumlichkeiten“ sollten Strukturen etabliert werden, die sowohl den Wünschen der AnwohnerInnen als auch den Ansprüchen der „externen“ NutzerInnen und den neuen BewohnerInnen gerecht werden sollten.

„Zeigen wir der Stadt, dass sie sich die Zähne an der Häuserzeile ausbeißen wird!

Denn so schnell geben wir nicht auf! Besetzt die anderen leerstehenden Wohnungen in der Häuserzeile! Preiswerten Wohnraum erhalten statt Ausgrenzung von finanziell-benachteiligten Menschen aus dem Innenstadtbereich!“

Die Häuserzeile an der Grevener Str. gehört bisher zu den preiswerten Wohngegenden in Innenstadtnähe. Seit etwa 30 Jahren existiert ein Bebauungsplan, der den Abriss der Häuserzeile zugunsten einer vierspurigen Stadtautobahn vorsieht, deren Umsetzung jedoch aufgrund verkehrstechnischer Entwicklungen nicht mehr verfolgt wird.

Nach dem In-Kraft-Treten des Bebauungsplans kaufte die Stadt Münster die Häuser der Zeile auf. „Einzelne, wie die Häuser Nr. 57 und 59 verscherbelte die Stadt an die stadteigene Wohn- und Stadtbau.

Seit 20 Jahren besteht für die Zeile eine sog. Veränderungssperre, die es den MieterInnen untersagt dringende Sanierungen an den Häusern zu unternehmen. In Teilen sind also Häuser von der Stadt (!) regelrecht ‚kaputtbesitzt’ worden, um einen inhaltlich überholten Plan zu verfolgen“ [9], so die BesetzerInnen.

Viele MieterInnen hätten sich über diese Anordnung hinweggesetzt. Das ehemals besetzte und inzwischen durch den Uni-AStA verwaltete Haus Nr. 31gehöre daher ebenfalls zu den gut erhaltenen Häusern. Die zumeist gute Bausubstanz sei seit Jahren nicht mehr geprüft oder durch ein Gutachten angezweifelt worden. In der Zwischenzeit seien Mietverträge aber nicht mehr verlängert oder nur noch durch befristete Verträge ersetzt worden.

„Heute sind Verwaltung, Ratsmehrheit, sowie Wohn + Stadtbau fast jedes Mittel recht die verbliebenen MieterInnen loszuwerden oder für dumm zu verkaufen. Die vor über 6 Monaten groß angekündigte Mitbestimmung der MieterInnen (nach der entscheidenden Ratssitzung!) blieb eine Propagandablase sondergleichen. Lediglich 1 Mieterin, die seit weit über 50 Jahren in der Straße wohnt und mit Sicherheit eine ewig lange Kündigungsfrist gehabt hätte, wurde bereits mit einer schicken Neubauwohnung mit Fahrstuhl gekauft. Mit dem Gros der MieterInnen fand überhaupt noch kein Gespräch über ihren weiteren Verbleib statt.“

Kritik an den Plänen der Stadt werde mit dem Argument der Schaffung von mehr preiswertem Wohnraum hinweggefegt. Selbst hier seien sich die Verantwortlichen nicht zu schade ihre eigenen Pläne zu ignorieren oder sie umzulügen.

„Als Beispiel: Der Neubau auf den Grundstücken 57/59 soll doppelt soviel preiswerten Wohnraum, wie bisher dort vorhanden, schaffen. Nutzt mensch die Zahlen der Verwaltung und rechnet die reine Wohnfläche (Leerstand wird natürlich mit einberechnet, was mensch den „Mathefüchsen“ bei der Wohn + Stadtbau vielleicht als Tip mitgeben sollte) der Häuser 57 und 59 zusammen, ergibt dies eine Wohnfläche von 872,92qm – mit einer Kaltmiete von bisher durchschnittlich 3,99 €/qm.

Die W+S will an dieser Stelle jedoch nur noch 1 Haus bauen mit 9 WE (555,10qm) die öffentlich gefördert werden (4,55 €/qm) und 6 WE (438,90qm) die „frei“ finanziert werden (8,30 €/qm). Wie dieses Wunder der Wohnraumverdopplung mathematisch nun doch noch vollbracht werden kann, müssen sie bitte bei der W(under) + S(pinnereien) erfragen!

Grevener Str. bleibt! Glaubt den Lügen der Abrissbirnen nicht!“

Die aktuellen Hausbesetzungen in der Grevener Straße, in der 1972 der Häuserkampf in Münster seinen Anfang nahm, zeigen, dass ein Ende der „Geschichte des Häuserkampfs in Münster“ nicht absehbar ist.

Bernd Drücke, 10. April 2007


[1] Autonome Häusergruppe: Häuserkampf in Münster oder Leute bleibt heiter, der Häuserkampf geht weiter, in: Bündnis gegen Umstrukturierung und Wohnungsnot (Hg.): Schlimmer wohnen in Münster, Münster 1992, S. 24 ff.

[2] www.f24-kultur.de

[3] Liebe LeserInnen, in: na warte!, Häuserzeitung Münster, 25. Sept. 1990, S. 2.

[4] Bernd Drücke (Hg.): ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert, Karin Kramer Verlag, Berlin 2006, S. 255

[5] Niko: 42 Tage gelebte Anarchie. Leute, bleibt heiter, der Häuserkampf geht weiter!, in: Graswurzelrevolution Nr. 247, März 2000, http://www.graswurzel.net/247/ms-haus.shtml

[6] Hausbesetzung für ein soziales Zentrum in Münster! Pressemitteilung - Münster, 13.4.2001, http://www.graswurzel.net/news/ms-besetzung.shtml

[7] Initiative für ein selbstverwaltetes soziokulturelles Zentrum: Räumung in Münster. Offener Brief an die Presse/Stadt, www.graswurzel.net/news/ms-raeumung.shtml

[8] Aller guten Dinge sind 3, oder 4 oder 5...! Jetzt ist die Grevener Str. 59 in Münster besetzt!, Herein zum Besetzungsmarathon!, Flugblatt, Münster 2. April 2007

[9] Besetzungsblog Grevener59, Glaubt den Lügen der Abrissbirnen nicht! http://grevener.blogsport.de/2007/04/05/hintergrundinfos-bebauungsplan/