Die Geschichte der "Sputnik"
XV.11 Sputnik
Textauszug aus: Bernd Drücke, Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse, Verlag Klemm & Oelschläger, Ulm 1998, 640 Seiten, S. 332 ff.
Siehe: http://www.graswurzel.net/laden/
Seit dem bundesweiten „UNiMUT“ - Streik der Studierenden im Wintersemester 1988/89 erschien die unregelmäßig von der Fachschaftsvertretung Soziologie an der Universität Münster herausgegebene Studierendenzeitschrift Sputnik.
Zunächst stand die von häufig wechselnden MitarbeiterInnen der Fachschaft gemachte Zeitschrift der „Liste UNiMUT“ nahe, die 1989 z.T. von ehemaligen Mitgliedern des aufgelösten „Marxistischen Studierendenbund“ (MSB) gegründet worden war.
Den Inhalt der Sputnik machten anfangs hauptsächlich hochschulpolitische Artikel aus, die Zeitschrift war als universitätsinterne Publikation für SoziologiestudentInnen konzipiert.
Dies änderte sich mit der im Oktober 1994 erschienen Ausgabe, in der überwiegend Artikel zu verschiedenen gesellschaftlich relevanten Themen abgedruckt wurden. Die Redaktion des fortan libertär ausgerichteten Sputnik, wollte mit ihrem Periodikum eine LeserInnenschaft auch außerhalb des Universitätsklientels ansprechen.
„Hier werden nicht nur die einzig wirklich wichtigen und interessanten Veranstaltungen in Münster bekanntgegeben, sondern auch philosophische, religiöse, soziologische, weltanschauliche und nicht zuletzt politische Fragen, Wahrheiten, Ideen und Ergüsse in die interessierte studentische und nichtstudentische Öffentlichkeit gebracht, verbreitet, beantwortet und gestellt.“[1]
Drei von sechzehn DIN A4 - Seiten des mit einer Druckauflage von 500 Stück herausgebrachten „Zentralorgan der Fachschaftsvertretung Soziologie/SoWi“ (Untertitel) wurden zensiert. In der vierseitigen Beilage Sputnik Zensiert! erläuterte die Redaktion, wie es dazu kam:
„Hey! Was ist denn Sputnik-Zensiert? Eine neue Zeitung? Vielleicht…
Euch sind sicher die Seiten 12, 15 und 16 in dieser Ausgabe der Sputnik aufgefallen: Eine Seite vom AStA geschwärzt, die beiden anderen gelb - sonst nix! Ist der Fachschaft Soziologie nix mehr eingefallen? Doch!!! Und was, das reichen wir Euch in dieser Beilage nach, da wir dafür unseren Etat nicht mehr anrühren dürfen!
Bisher war es möglich, im Zuge der 'politischen Bildung' und Förderung der aktiven Toleranz', (Universitätsgesetz UG des Landes NRW von 1993, vormals Wissenschaftliches Hochschulgesetz NRW WissHG), Artikel in Studierendenzeitungen zu veröffentlichen, die gesellschaftlich relevante Themen behandeln. (…) Jetzt hat jedoch das Oberverwaltungsgericht des Landes NRW (…) bzw. drei Richter des 25. Senats festgestellt, daß das UG mit Bundesgesetzen (Hochschulrahmengesetz HRG) kollidieren soll. Da Bundesgesetze vor Landesgesetzen Gültigkeit haben, setzen erstere letztere außer Kraft!“[2]
Wie es zur Zensur der Sputnik kam, erläuterten die RedakteurInnen wie folgt:
„Alles ist damit angefangen, daß ein durchgeknallter Jurastudent im 35. Semester seinen Lebensunterhalt damit bestreitet, in dem er für irgendwelche stockkonservativen Interessen bzw. Verbände Prozesse gegen die Studierendenschaft der Universität führt, z.B. gegen das Semesterticket, aber auch gegen allgemeinpolitische Veröffentlichungen. (...) Um dem AStA und damit uns Studierende mundtot zu machen, klagte er vor dem OVG Münster einen Maulkorb ein!“[3]
Dokumentiert wurden in der Sputnik UNZENSIERT eine Anzeigenkampagne des „Münsteraner Bündnis gegen Abschiebung und restriktive Flüchtlingspolitik“ anläßlich des Tags des Flüchtlings am 1. Oktober. In diesen Artikeln wurden Fallbeispiele beschrieben und Fluchtursachen benannt.
Nachgedruckt wurde zudem die zuvor zensierte Selbstdarstellung des Infoladen Bankrott:
„Wir von der Ladengruppe wollen ein Forum für libertäre und alternative Zeitungen bilden, die Nachrichten veröffentlichen, die von den bürgerlichen Medien unterdrückt und verfälscht werden. Wir wollen die Idee einer anarchistischen Gesellschaft verbreiten!“[4]
Im März 1995 erschien die zweite, von Libertären gemachte Ausgabe der Sputnik, irreführend als Nummer 1 deklariert. Diese Zählweise bezog sich auf die Anzahl der herausgekommenen Ausgaben pro Semester.
Diesmal wurden fünfzehn von zwanzig Seiten zensiert: Ein, aus der Sicht eines Anarchisten geschriebener und mit „Ausnahmezustand im Ruhrpott“ (S. 10/11) betitelter Bericht über die im Dezember 1994 stattgefundene Demonstration gegen den „EU-Gipfel“ in Essen, „Auf der Mauer sitzt 'ne kleine Wanze,… Kurze Geschichte des Verbrechensbekämpfungsgesetzes“ (S. 12, 13, 30), „Bonner Kriegstreiber wirbeln über Bosnien“ (S. 15), „Vivan Los Zapatistas!“, ein Schwerpunktartikel über den Aufstand in Chiapas/Mexiko und ein Artikel über „Die Geschichte des KPD-Verbots“ (S. 27-29).
In der zensierten Ausgabe äußerte sich der AStA-Finanzreferent, der die Schwärzungen vorgenommen hatte, folgendermaßen:
„In dieser Ausgabe der Sputnik sind (..) Artikel der sog. Zensur zum Opfer gefallen (…). Diejenigen, die dies als Zensur bezeichnen mögen, können sich gerne im Finanzreferat des AStA als Finanzreferent/in betätigen. Die zukünftige Koalition sucht z. Zt. noch eine/n aus dem Kreis der Verbal-Politiker/innen, die bereit sind das OVG-Ordnungsgeld von 500.000,- DM und/oder eine Anklage wegen Veruntreuung studentischer Gelder auf sich zu nehmen. Bezeichnenderweise hat sich unter denjenigen, die am lautesten über die 'studentische Meinungsfreiheitsselbstbeschränkungsstelle' schimpfen, noch niemand hierzu bereit erklärt.
Mit freundlichen Grüßen, IM Oberzensor.“[5]
In einer zwanzigseitigen Beilage, in der wiederum die beanstandeten Artikel dokumentiert wurden, beantwortete die Soziologiefachschaft die „Geleitworte des Finanzreferenten“.
Ein Foto aus dem Jahre 1978, das die Erschießung von Gefangenen in Chile zeigt, wurde betitelt mit „Wenn ein AStA Massenmord und Folter anprangert, wird dies gerichtlich bestraft, weil es sich um allgemeinpolitische Äußerungen handelt.
Wenn ein AStA zu Massenmord und Folter schweigt, ist das also keine allgemeinpolitische Äußerung?“
Darunter äußerte sich die Fachschaft zu den Geschehnissen.
Es sei bezeichnend, daß die „Meinungsfreiheitsselbstbeschränkungsstelle“ gegen die Fachschaft polemisiere, anstatt den „Bann des Oberverwaltungsgerichts“ zu kritisieren.
„Unser Wille, 'allgemeinpolitische' Inhalte zu behandeln, erscheint wie ein Scherz ungezogener Kinder; anders ist die persönliche Reaktion des selbsterklärten 'IM Oberzensor' nicht zu erklären. Es kann nicht angehen, daß hier aus persönlichem Sich-Angepißt-Fühlen nach unten weitergegeben wird, was von oben als Zensurmaßnahme verordnet ist. (…) Was hier für ein Verständnis von Hochschule und Gesellschaft herrscht, entspricht den Vorstellungen jener StandortstrategInnen, die auf der Suche nach verwertbarem Material hier ihre 'menschlichen Ressourcen' abziehen. Das finden wir scheiße und wir werden uns weiter dagegen wehren.“[6]
Im Juni 1995 erschien mit einer Auflage von 150 kopierten Exemplaren die vierseitige Sputnik Nr. 2, als „Wahl-Info zu den Gremienwahlen im Sommersemester 1995“ und vorerst letzte Ausgabe.
Sie diente zur Selbstdarstellung der EZLN/RS, der Einheitsfront Zweifelnder Langzeitstudierender und Nichtsnutze / Räudige SoziologInnen, die dort u.a. mit dem Slogan „Wenn Wahlen was verändern würden, wären sie verboten“ für sich warb.
Textauszug aus: Bernd Drücke, Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse, Verlag Klemm & Oelschläger, Ulm 1998, 640 Seiten, S. 332 ff.
[1] Hallo, liebe ErstsemesterInnen! Hallo, liebe Stammkundschaft!, in: Sputnik Nr. 1, Münster, Okt. 1994, S. 3.
[2] Sputnik Zensiert!, Beilage von Sputnik Nr. 1, Münster, Okt. 1994.
[3] Ebd.
[4] Infoladen Bankrott Selbstdarstellung, in: Sputnik Zensiert!, a.a.O., o. S.
[5] Sputnik Nr. 1, Münster, März und April 1995, S. 10.
[6] UNZENSIERTUNZENSIERT - Notwendige Beilage zur Nummer 1/Sommersemester '95/April '95, Münster, S. 1.